„Die Verbraucher gehören in die Aufsichtsräte“

Der Angriff des BDI auf die Mitbestimmung ist ungerechtfertigt, sagt der Grüne Fritz Kuhn. Doch die Besetzung der Kontrollgremien müsste reformiert werden

taz: Herr Kuhn, ist die Einschätzung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) richtig, dass die Mitbestimmung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft schadet?

Fritz Kuhn: Nein, im Gegenteil. Weil die Vertreter der Beschäftigten in den Aufsichtsräten sitzen, tragen sie eine Mitverantwortung für die Unternehmen. Ohne diese Beteiligung wären die Konflikte bei Karstadt, Opel und DaimlerChrysler viel stärker eskaliert. Und der Staat müsste sich auch mehr engagieren. Das sollte sich der BDI mal klar machen. Sein Angriff auf die Mitbestimmung ist eine Reaktion auf das Versagen der Manager in manchen Unternehmen.

Weil Gewerkschaftschef und Lufthansa-Aufsichtsrat Frank Bsirske 2002 einen Streik unterstützte, habe er dem Unternehmen geschadet, lautet der Vorwurf des BDI. Wäre dies ein Interessenkonflikt, der zur Einschränkung der Mitbestimmung führen sollte?

Über den Einzelfall kann man sicher diskutieren. Es gibt Fälle, in denen sich Aufsichtsräte der Arbeitnehmer eher zurückhalten sollten. Aber ich sehe keinen grundsätzlichen Interessenkonflikt, in der Regel verhalten sich die Beschäftigtenvertreter angemessen. Das größere Kontrollproblem liegt darin, dass ehemalige Vorstandsvorsitzende direkt in den Aufsichtsrat rotieren. Da kontrollieren sie sich selbst.

Die Mitbestimmung in Deutschland war eine Reaktion auf den Nationalsozialismus – der unheilvolle Einfluss des Kapitals sollte eingeschränkt werden. Wäre heute eine Anpassung an die Verhältnisse im Ausland angesagt?

Reformieren ja, aber im Sinne von Stärken der Mitbestimmung. Der BDI sagt immer, die Mitbestimmung würde im Ausland nicht verstanden. Gerade die Unternehmerverbände tun aber zu wenig dafür, ihre Vorteile zu erklären. Das ist merkwürdig. Denn spricht man mit einzelnen Vorständen, heißt es meist, dass die Mitbestimmung gut funktioniere.

Unternehmen mit hunderttausenden Beschäftigten haben großen Einfluss auf Politik und Lebensverhältnisse. Sollten deshalb weitere gesellschaftliche Gruppen in die Kontrolle der Wirtschaft einbezogen werden?

Eine entscheidende Gruppe fehlt bislang tatsächlich in den Aufsichtsräten: die Verbraucher. Wir sollten darüber nachdenken, wie wir sie in die Kontrollstrukturen einbinden können. Ein erster Schritt wäre, wenn die Gewerkschaften auch Leute in die Aufsichtsräte schicken würden, die sich als Vertreter der Verbraucherinteressen verstehen.

Warum sollte nicht auch die Kapitalseite Sitze zur Verfügung stellen?

Es ist logischer, die Verbraucherinteressen bei den Arbeitnehmern anzubinden. Diese beiden Rollen überlagern sich ja im täglichen Leben.

Welche Verbraucherorganisation könnte denn Vertreter in die Aufsichtsräte schicken?

Ich denke, man sollte Einzelpersonen auswählen. Sonst ist man sehr schnell bei der Frage, welche weitere Organisation Anspruch auf ein Mandat haben könnte. Das würde zu weit führen.

Die Kaufhäuser von Karstadt haben enorme Bedeutung für viele Innenstädte. Sollten deshalb Vertreter der Kommunen im Aufsichtsrat von Karstadt sitzen?

Nein, das wäre nicht mehr abgrenzbar. Man sollte die Gremien nicht überfrachten.

Konzerne wie Siemens beschäftigen mittlerweile mehr Leute im Ausland als im Inland. Trotzdem stammen die Aufsichtsräte der Arbeitnehmer fast alle aus Deutschland. Wie kann man das ändern?

Die Gewerkschaften müssten dafür sorgen, dass auch Vertreter der ausländischen Belegschaften Sitze im Aufsichtsrat erhalten. Man braucht da Leute, die zum Beispiel die Probleme indischer Software-Entwickler kennen.INTERVIEW: HANNES KOCH