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: Amalgam und andere Einblicke in das Leben der Stars

Als meine Zahnärztin, deren Hände trotz Fetisch-Latex-Handschuhen immer nach Nikotin riechen, wenn sie nach den paar Minuten, in denen die Betäubungsspritze wirkt, wieder reinkommt, als diese sympathische Raucherin mich neulich fragte, ob ich ein weißliches Kunststoffgemisch oder, wie sonst immer, Amalgam gegen den Niedergang meines ruinösen Gebisses haben möchte, antwortete ich im Brustton der Überzeugung: Natürlich Amalgam. Liam Gallagher hat schließlich ebenfalls damit die Backen voll. Nie werde ich vergessen, wie vertraut es aus seinen Mundwinkeln herausfunkelte, als er einmal auf MTV bei einem Live-Konzert in sein (wie bei Lemmy von Motörhead) hoch über dem Kopf hängendes Mikrofon rief: „Don’t let it out, don’t let it in, don’t let it out.“ Und bei jedem „Out“ sah ich das britische Gesundheitssystem, in dem Millionäre Amalgam und Bettler (von der Straße abgekratzte) Kaugummifüllungen in die Zahnbaracken gedrückt bekommen.

MTV tut ohnehin einiges, um einem die private Welt der Stars näher zu bringen. Bei Missy Elliot durfte ich neulich sogar mit ins Schlafzimmer, das sie „kinda submarine style“ eingerichtet hat, mit U-Boot-Steuerrädern aus Plastik an der Tür und einem wirklichen Stil-Highlight in der Mitte des Raumes: Einem Bett-Auto. Oder Auto-Bett. Sie habe das in einer Zeichentrickserie gesehen, erzählte Missy, und sich gleich nachbauen lassen. Das Auto ist ein wirklich scheußliches, modernes Sportauto mit breiter Schnauze und dicken Puschen, es kann natürlich nicht mehr fahren, weil der Motor fehlt, aber aus dem Armaturenbrett kann Missy einen Flachbildschirm hochklappen, und der Clou befindet sich im Kofferraum. So etwas habt ihr noch nie gesehen, nuschelte Missy stolz, und drückte auf eine kleine, wie ein Blitzableiterband herunterhängende Fernbedienung. Aus dem „Trunk“ fuhr langsam ein Regal hoch, darin: Ihre Lieblingsturnschuhe. Ihr habt bestimmt noch nie gesehen, dass jemand seine Lieblingsturnschuhe im Kofferraum hat, behauptete Missy noch einmal, und damit hat sie Recht, jedenfalls noch nie bei einem Autobett.

Den Rest ihrer beeindruckenden Sammlung gleich aussehender Sneakers bewahrt Missy in einem extra Sportklamotten-Raum auf. Meine eigenen Turnschuhe hatte ich bis jetzt immer in der Ecke hinter den Stiefeln versteckt, damit sie mich nicht so mahnend angucken können. Doch ich werde sie wieder in meinen Kofferraum schmeißen und sagen: Ich habe den Deko-Tipp von Missy. Eine Woche später war ich mit MTV bei Destiny’s Child zu Gast, davon ist mir nur in Erinnerung geblieben, dass eine der Damen Eddie-Murphy-Videos sammelt, und schon drei hat, was mir nicht besonders viel vorkam. Aber vielleicht sind sie in den USA auch schwieriger zu bekommen.

Man lernt eben nie aus, was regionale Unterschiede betrifft. Daran musste ich vorgestern kurz denken, als eine Menge Wahl- und echte Hamburger, zum Beispiel Erobique (von International Pony), Schorsch Kamerun und eine Band, die teilweise früher mal „Dackelblut“ hieß, im Bastard ein paar Sitzblockadenkonzerte gaben. Obwohl Schorsch immerhin beim Singen stand, das muss man ihm lassen. Die Ex-Dackelblütler dagegen saßen nebeneinander auf kleinen Stühlen und sangen und spielten, so dass man beim Reinkommen als Erstes an eine Therapiegruppe denken musste, bei der jeder ein Ereignis aus der Punk-Vergangenheit zu verarbeiten hat. Erobique saß ebenfalls hinter seiner Orgel. Das Ganze bekam dadurch eine recht friedliche Atmosphäre, vielleicht war ich aber auch durch die Rauchschwaden betäubt. Später las ich, dass die Sitzkonzerte vom „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ präsentiert wurden. Mit anderen Worten: Meine Innenarchitektin Missy hätte dabei nie mitgemacht. JENNI ZYLKA