Stuhlgang der Seele

Wir Kinder vom Bahnhof Spandau: Cobra Killer gehörten in Berlin zu den ersten Frauen, die den Rock ’n’ Roll besetzten. Inzwischen wirken sie, die heute bei Marke B spielen, überholt. Ein Porträt

von SILVIA HELBIG

Sie sind das Exzessivste, was man bei Live-Konzerten erleben kann: In Phase eins ihrer Show – in der Aufwärmphase – leeren sich die beiden Damen von Cobra Killer den Inhalt mehrerer Rotweinflaschen über die Köpfe. Die elektronische Musik kommt von Band und wird durch Handanlegen an den Samplern auf der Bühne unterstützt. In Phase zwei denkt schon niemand mehr an die Musik, man kann nur noch mit offenem Mund zuschauen.

Gina V. d’Orico und Annika Trost brüllen sich ihre Seelen aus dem Leib. Die ohnehin knappen Kleider sind verrutscht und der Übergang zu Phase drei steht kurz bevor: Das ist diejenige, in der Annika und Gina von der Bühne springen, um sich auf dem Boden zu wälzen. „Wir werden immer missverstanden. Wir wollen nicht provozieren, sondern helfen. Wir wollen den Leuten bei der Vulkanisierung helfen, denn Vulkanisierung ist der Stuhlgang der Seele“, erklären Cobra Killer ihr Anliegen.

Frauen, die in Unterhosen auftreten, männliche Rock-’n’-Roll-Gesten beschlagnahmen, während die Beats vom Band kommen? Klingt verdammt nach Peaches, nur dass Cobra Killer dieses Konzept schon viel länger haben. Und: Im Unterschied zu Peaches ist ihre Show schwarz und nicht pink. Statt Vokuhila und Glitzertopps schmücken sich Cobra Killer lieber mit Ledermänteln und Lackstiefeln.

Obwohl sie eigentlich extrem jung sind, wirken Cobra Killer auf diese Weise eher altmodisch. Das, was schon vor Jahren in Mitte, Friedrichshain und Prenzlauer Berg begann, ist an Cobra Killer komplett vorbeigegangen. Proberäume in Westberlin sind da schon eher ihre Welt. Sieht man sie mit ihren Berlin-Fahnen auf die Bühne marschieren, dann ahnt man sofort, dass man es hier mit einem anderen Berlin zu tun hat als mit dem der Zugezogenen, die den Namen der Hauptstadt auf der Trainingsjacke tragen. Sie sind nicht die Kinder der Kinder vom Bahnhof Zoo, sondern der Kinder vom Bahnhof Spandau.

Wenn jetzt Madonna plötzlich sagt, sie steht auf Peaches, und Peaches sagt, sie steht auf Cobra Killer – könnte ihnen, die irgendwie zuerst da waren, dies nicht doch noch zum ersehnten Popularitätsschub verhelfen? „Wir hatten schon immer auch prominente Fans, zum Beispiel Sonic Youth“, winken Cobra Killer ab. Und erzählen dann, wie sie Sonic Youth 1995 in einem New Yorker Plattenladen kennen gelernt haben. Als die New Yorker Punklegende letztes Jahr auf Deutschlandtournee kam, waren Cobra Killer dann ihre Vorband. „Das musste sein, obwohl ich im vierten Monat schwanger war. Nach dem Stagediven dachte ich zwar, jetzt gehen schon die Wehen los, weil ich so irre Schmerzen hatte, aber das hat sich auf jeden Fall gelohnt“, meint Annika. Diese Schmerzen und Flecken, die die beiden nach ihren Shows oft mit nach Hause nehmen, sehen sie als Erinnerung an einen schönen Abend. This is Hardcore, Baby!

Ob ein Abend mit Cobra Killer schön wird oder nicht, das hängt in der Regel auch davon ab, ob ihn das Publikum mag. Und das ist leider nicht immer der Fall. Wenn man in Chemnitz zum Beispiel erwarten würde, dass sich zumindest die dort starke Darkwave-Szene von Cobra Killer angezogen fühlt, kommt dort erst mal gar keiner zum Konzert. In Spanien und Australien hingegen sind die Fans von der Körperlichkeit der beiden Berlinerinnen umso mehr begeistert. Dass sie mehr Erfolg im Ausland haben als zu Hause, erklären sich die beiden damit, dass ihre ersten Platten nicht in Deutschland erschienen sind. Vielleicht liegt es aber auch an etwas anderem: Vielleicht wirkt ihr heiliger Ernst, ihre gnadenlose Gefährlichkeit am anderen Ende der Welt einfach exotischer als hier.

Das englische Label, auf dem die erste Cobra-Killer-Platte erschien, war übrigens Digital Hardcore Recordings. Wir erinnern uns: Alec Empire, Atari Teenage Riot, „Hetzjagd auf Nazis“. Was der härteste aller Elektropunker heute so macht, wissen Cobra Killer leider nicht so genau. „Wir haben keinen Kontakt mehr. Mit so einem konservativen Menschen konnten wir nicht mehr verkehren. Das haben wir nicht verkraftet.“ Schön zu wissen, dass auch Mädchen wie die von Cobra Killer manchmal zarte Nerven haben.

Cobra Killer spielen heute mit vielen anderen Bands im Rahmen des Marke-B-Festivals. Marke B, heute u. morgen 23 Uhr, Café Moskau, Karl-Marx-Allee 34