Zu Schleimern erzogen

Die Mitbestimmung der Beschäftigten in den Konzernen hat auch Nachteile. Dennoch ist sie ein Spurenelement von Demokratie in der Wirtschaft

VON HANNES KOCH

Bei DaimlerChrysler, Karstadt und Opel geht es drunter und drüber. Dort tragen die Vorstände eine erhebliche Verantwortung dafür, dass die Unternehmen in die Bredouille geraten sind. So sollte man vermuten, dass die Unternehmer und ihre Verbände aktuell keine große Lippe riskieren.

Doch von wegen. Als gäbe es nicht die angedrohten Stellenstreichungen bei Karstadt und den Streik bei Opel, nimmt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) jetzt einen zentralen Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft aufs Korn: die Mitbestimmung der Beschäftigten in den Unternehmen. Als „Irrtum der Geschichte“ bezeichnet BDI-Chef Michael Rogowski, dass Arbeiter, Angestellte und Gewerkschafter in den Aufsichtsräten der Firmen sitzen.

Die Einstufung als „historisch“ zumindest stimmt. Die Einführung der Mitbestimmung in den 1950er- bis 1970er-Jahren war eine Reaktion auf den Pakt zwischen Industrie und Nationalsozialismus. Die demokratische Kontrolle der Bosse durch die Arbeiter in der neuen Bundesrepublik sollte autoritären Tendenzen vorbeugen (siehe Kasten). Diesen Teil der Nachkriegsgeschichte will Rogowski nun entsorgen. Es geht um die Frage: Wer kontrolliert die Entscheidungen der Manager – diese selbst oder sonst noch jemand? Der konkrete Streit dreht sich darum, ob von den Beschäftigten gewählte Vertreter auch künftig in den Aufsichtsräten der Unternehmen sitzen. In großen Betrieben haben sie dort die Hälfte der Sitze inne: Zusammen mit den Vertretern der Kapitalseite ernennen sie den Vorstand, segnen den Geschäftsbericht ab und sind der Hauptversammlung der Aktionäre rechenschaftspflichtig.

Aus der Sicht des BDI ist die Zeit günstig, diesen Kompromiss aufzulösen. Denn aufgrund eines europäischen Gesetzes können sich auch deutsche Unternehmen ab dieser Woche die Rechtsform der „Europa-AG“ geben. Das bedeutet: Unter bestimmten Bedingungen dürfen sie das angelsächsische Modell des Verwaltungsrates als oberstes Firmengremium übernehmen – einen Aufsichtsrat mit Arbeitnehmerbeteiligung gäbe es dann nicht mehr. Um den Ausverkauf der Mitbestimmung zu verhindern, hat die rot-grüne Bundesregierung einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der die Wahl der Rechtsform von der Zustimmung der Beschäftigten abhängig macht. „Das ist eine hervorragende Lösung“, sagt Marie Seyboth vom DGB-Bundesvorstand. BDI gegen Rot-Grün plus Gewerkschaften, so sieht der Frontverlauf aus.

Freilich ist es nicht nur das neue EU-Recht, das das deutsche Sondermodell unterminiert. Auch in diesem Fall gilt: Mitgefangen, mitgehangen. Daimler, VW, Karstadt, Opel – die Aufsichtsräte haben meist den Quatsch abgesegnet, den die Manager ihnen vorlegten. Man denke an den mittlerweile berühmten Fall aus dem Frühjahr 2000, als IG-Metall-Chef Klaus Zwickel die 30-Millionen-Abfindung für Ex-Mannesmann-Vorstand Klaus Esser durchwinkte.

Solche Servilität liegt auch an der speziellen Konstruktion der paritätischen Mitbestimmung: Die Gewerkschafter tragen zwar im Aufsichtsrat eine gemeinsame Verantwortung mit der Kapitalseite, doch das letzte Wort hat immer der Vorsitzende – und den bestimmen die Eigentümer. Was also bleibt den Beschäftigten übrig, wenn sie etwas durchsetzen wollen? Sie müssen dienern, kungeln, buckeln. Im Aufsichtsrat werden sie zu Schleimern erzogen.

BDI-Chef Rogowski zieht die eine Konsequenz: Beschäftigte sind miese Manager, also raus mit ihnen. Die andere Möglichkeit wäre: Kontrolle ist gut, mehr Kontrolle ist besser. Die Mitbestimmung ließe sich gesetzlich stärken, indem die Inzucht zwischen Vorstand und Aufsichtsrat erschwert wird. Heute wechseln ehemalige Vorstände oft nahtlos ins Kontrollgremium, wo sie ihre eigenen Untaten vertuschen. Die Grünen planen ein Gesetz, um dies zu verhindern. Und die Schleimspur, die Gewerkschaftsvertreter oft hinter sich herziehen, ließe sich verkürzen, würden die Machtverhältnisse geändert.

Der Gelsenkirchener Wirtschaftsrechtler Heinz-Josef Bontrup fordert, die Montanmitbestimmung auf alle Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten auszudehnen. Der Vorteil: In dieser Form der Mitbestimmung hat die entscheidende Stimme nicht die Kapitalseite, sondern eine neutrale Person. Die Beschäftigtenvertreter hätten damit eher die Möglichkeit, mal einen Konflikt zu riskieren.