Keine Chance für Problem-Kids

Billiganbieter drängen immer stärker in die Ausbildung benachteiligter Jugendlicher. Die Folge: Qualitativ gute Träger und besonders ausbildungsferne Jugendliche bleiben auf der Strecke

VON MARCO CARINI

Kommt das Ende gleich nach dem Jubiläum? Seit gut 25 Jahren bilden die Autonomen Jugendwerkstätten (AJW) besonders benachteiligte Jugendliche gewerblich aus, die auf dem freien Arbeitsmarkt keinen Ausbildungsplatz bekommen. Über 500 Jugendliche haben hier einen Abschluss gemacht. Doch im sechsundzwanzigsten Jahr droht den AJW das Aus.

Der Verein finanziert sich im Rahmen der Jugendberufshilfe durch Geld von der Bildungsbehörde, der Agentur für Arbeit und dem Europäischen Sozialfonds. Eine Kürzungswelle des Schwarz-Schill-Senats 2003 kam einem Kahlschlag gleich: Drei Werkstätten mussten die AJW dichtmachen. Die eigenständige Frauentischlerei schloss, die Ausbildungswege zum Maurer und Installateur wurden eingestellt.

Jetzt droht neues Ungemach: Weil die Bildungsbehörde in der Jugendberufshilfe die Preise drückt, können die AJW ihre Ausbildungsplätze nicht mehr besetzten und geraten so in eine finanzielle Schieflage. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die institutionelle Förderung pro Ausbildungsplatz und Monat fast halbiert: Von rund 1.800 auf rund 900 Euro. Tendenz fallend, da die Bildungsbehörde bei stagnierendem Budget möglichst viele Jugendliche in der Jugendberufshilfe unterbringen will.

Der Vorwurf von AJW-Geschäftsführer Michael Nieselt an die von Christa Goetsch (GAL) geführte Behörde: Im Vordergrund stünden nur noch die Kosten pro Ausbildungsplatz und eine frühzeitige Vermittlung in die betriebliche Ausbildung. Die Konsequenz: Die eigentliche Zielgruppe der Jugendberufshilfe – Jugendliche, die nur langsam und mit großem Aufwand an die Arbeitswelt herangeführt werden können – falle aus den Förderprogrammen. Für ihre Betreuung reiche das Geld nicht.

Denn für die AJW-Mitarbeiter gehört es dazu, den Jugendlichen erstmal bei der Lösung persönlicher Probleme – von der Drogensucht bis zu Wohnungslosigkeit oder Verschuldung – zu helfen, um so ihre Ausbildungsfähigkeit überhaupt erst herzustellen.

Doch durch die Förder-Richtlinien werden die Träger faktisch gedrängt, Bewerber zu bevorzugen, die sehr nah am Arbeitsmarkt dran sind und damit eigentlich nicht in das Jugenberufshilfe-Programm gehören. So finanziert die Behörde eine bestimmte Anzahl von Plätzen nicht über drei, sondern nur für anderthalb Jahre, und erwartet, dass die Jugendlichen dann in einen betrieblichen Ausbildungsplatz vermittelt sind.

Gelingt diese Integration nicht, müssen die Träger die restliche Ausbildungszeit aus eigener Tasche bezahlen. „Jugendliche mit vielen Problemen kosten die Träger einfach mehr Geld“, sagt Nieselt.

Petra Lafferentz, Geschäftsführerin des Jugendberufshilfe-Trägers Alraune, fordert deshalb von der Behörde, „die Jugendberufshilfe jenseits von Preiskonkurrenz weiter zu entwickeln“. Denn die Jugendberufshilfe sei kein normales Weiterbildungsangebot für arbeitslose Jugendliche, sondern Teil der staatlich garantierten Jugendhilfe für besonders benachteiligte Heranwachsende.

Ein weiteres Problem für die Träger: Auch in der Jugendberufshilfe wurde 2004 – wie fast im gesamten Sozialsystem – die institutionelle Förderung abgeschafft. Die Träger werden nicht mehr langfristig finanziert, sondern müssen jedes Jahr im Rahmen eines „Interessensbekundungsverfahrens“ darum kämpfen, bei der Verteilung staatlicher Gelder ein Stück vom Kuchen abzubekommen. „Wir fördern erfolgversprechende Programme und nicht einzelne Träger“, erläutert Behördensprecher Armin Oertel dasPrinzip.

Der Nachteil daran: Die Organisationen können immer nur für wenige Monate im Voraus planen – für langfristige Konzepte und Arbeitsverträge bleibt kein Platz.

Vereine wie die Autonomen Jugendwerkstätten, die im Rahmen der Jugendberufshilfe eine intensivere Betreuung von bislang nicht ausbildungsfähigen Jugendlichen garantieren, gehen fast leer aus. Im vorigen Jahr konnten die AJW nur 27 der zur Verfügung stehenden 47 neuen Ausbildungsplätze besetzen – bei rund 300 Bewerbern. „Viele Jugendliche, die hier leer ausgehen, brechen den Kontakt zu den staatlichen Beratungsstellen ab, weil sie das Gefühl haben, dass ihnen ohnehin nicht geholfen wird“, sagt Michael Nieselt.

Auch bei der aktuell laufenden Ausschreibung für die Ausbildungsplätze 2009 wurden laut Nieselt von der Behörde erneut keine Mindeststandards, wie etwa ein angemessener Betreuungsschlüssel oder die Existenz vernünftiger Werkstätten, vorgegeben, sagt Nieselt. Sechs Jugendberufshilfe-Anbieter haben sich deswegen jetzt gemeinsam an die Behörde gewandt, um minimale Qualitätskriterien durchzusetzen und einen weiteren Preiskampf zu vehindern.

Bildungsbehördensprecher Armin Oertel hingegen pocht darauf, dass es „sehr wohl“ Standards gebe: Etwa den Personalschlüssel und die Arbeitsmarktrelevanz der angebotenen Ausbildungen, der Preis sei somit „nur eines von mehreren Kriterien“. Natürlich sei es „das Ziel der Behörde, möglichst vielen Jugendlichen ein qualitativ gutes Angebot zu machen.“ Das Gesprächsangebot der Träger nimmt Oertel auf: In der Jugendberufshilfe gebe es „Reformbedarf“, seine Behörde werde deswegen „den Dialog mit den Trägern zu gegebener Zeit suchen“.

Ob dann die Autonomen Jugendwerkstätten noch mit am Tisch sitzen, ist fraglich. Bislang sind nur vier Tischlerstellen und die einige berufsvorbereitende Maßnahmen finanziert. Bleibt es dabei, werden sie vor Ende des Jahres schließen müssen.