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Die Elster

Schon aus der Entfernung erkannte ich sie. Die Nachbarin. Eine mittelalte, recht patente, manchmal wirre Frau. Sie zeigte ihrer Katze die Stelle, an der sich der lärmende Vogel verschanzt hatte. Die knatternde Elster. Die Katze reagierte nicht. Sie blieb stumm auf dem Gehsteig sitzen. Der merkwürdig hellblau schimmerte. Anweisungen an Katzen funktionieren nicht, das unterscheidet sie von Mensch und Hund. Die Katze leckte sich die Pfoten, die Nachbarin richtete sich jetzt an mich, aber ich zuckte nur mit den Schultern. Die Elster saß auf einer Straßenlaterne und plusterte sich.

Die Nachbarin sah nach Gartenarbeit aus: farbloses Kleid, zusammengestecktes Haar, ein leicht traniger Blick, wie bei Gärtnern üblich. Sie käme von einer Zierfisch- und Pflanzentauschbörse, erzählte sie. Aha, machte ich. Deswegen die Gummistiefel. Nein, die trage sie oft, besonders bei Regen, sagte sie. Aha, sagte ich, aber heute scheint doch die Sonne? Ja, schon, aber man weiß ja nie. Ich wusste gar nicht, dass Sie Zierfische haben, setzte ich mit Blick auf die nach wie vor indifferent herumlungernde Katze das Gespräch fort. Habe ich auch nicht, sagte sie, ich habe Pflanzen. Wer hat die nicht, sagte ich nachlässig, ich selbst habe nämlich keine, Pflanzen gehören nach draußen.

Kinder gehören nach draußen, Pflanzen überall hin, sagte die Nachbarin dann zwar nicht. Dafür öffnete sich plötzlich unsere Haustür, und drei schreiende Kinder polterten hinaus. Sie trugen Wasserpistolen. Sie hielten auf die Katze, auf die Nachbarin und auf mich. Wir flüchteten. Die einzige Kreatur, die ruhig blieb und danach das Geschehen mit schrillem Knattern kommentierte, und zwar stundenlang, war die Elster auf der Laterne. RENÉ HAMANN