Die schreckliche Liebe

Mit „Der Beginn aller Schrecken ist Liebe“ startete gestern die Helke Sander-Retrospektive im Metropolis. Neben den Filmen der Frauenaktivistin Sander werden in den nächsten Wochen auch Arbeiten ihrer Hamburger Schüler gezeigt, darunter Carsten Knoops „Der Vorführ-Effekt“

Eine gekochte Kuhzunge, angerichtet auf einem Teller, wird längs aufgeschnitten – die erste Einstellung des Films Der Beginn aller Schrecken ist Liebe. Gegarte Tiere wie Fische und Hähnchen findet der aufmerksame Zuschauer immer wieder in den Filmsequenzen. Vielleicht ist dies ein Zeichen für Vergänglichkeit von Liebe und Freundschaft? Freya (Helke Sander) ist jetzt mit Traugott (Lou Castell) zusammen. Der wiederum war zuvor mit Irmtraut (Rebecca Pauly), Freyas Freundin, liiert. Bald teilen sie sich unfreiwillig den Mann. Es kommt zum Eklat: Freya will Offenheit, Irmtraut den Mann. Und wenn zwei sich streiten, freut sich die Dritte. „Mir ging es darum, dass Trennungen ausgesprochen werden können und nicht über Betrug laufen müssen“, so Sander. „Freya versucht, den Respekt vor dem Mann, den sie einmal liebte, nicht zu verlieren.“

Mit diesem Film, der im März 1984 in Hamburg uraufgeführt wurde, begann gestern im Metropolis die Helke Sander-Retrospektive „Gala der Kontraste“. Im Oktober und November werden Werke aus ihrer über 40-jährigen Filmarbeit gezeigt. Außerdem gibt es Lesungen, Vorträge und Diskussionen.

„Dieser Film war schon fast der kommerziellste Film, den ich gemacht habe“, erinnerte sich Sander (Foto) im Kinoraum des Metropolis, wo sie sich nach dem Film der Diskussion mit den Zuschauern stellte. Der Beginn aller Schrecken ist Liebe lief 1984 vier Monate lang im Holi-Kino in Hamburg. „Ich habe ihn aber wahnsinnig lange nicht gesehen.“

Die 20 Jahre jüngere Sander auf der Leinwand und die heutige im Kinosaal: Eigentlich hat sie sich nicht sehr verändert. Die Haare sind immer noch kurz geschnitten und auch die letzten Jahre haben überraschend wenige Spuren hinterlassen. Wie es ihr damit gehe, den Film heute wieder zu sehen, will jemand aus dem Publikum wissen. „Das ist ein verzwickte Frage“, druckst sie ein wenig herum. „Ich habe den Film aber mit Interesse gesehen.“ Ein langsamer Film sei Der Beginn aller Schrecken ist Liebe. Beim Sehen habe sie an die Dreharbeiten, an Drehorte und Probleme bei der Arbeit gedacht.

Sander, die 1937 in Berlin geboren wurde, heiratete 1959 den finnischen Schriftsteller Markku Lahtela. In Finnland arbeitete sie für Fernsehen und Theater, bis sie 1965 nach Berlin zurückkehrte und einen Neuanfang wagte: weg vom Theater, hin zur Deutschen Film- und Fernsehakadmie. Immer war ihre Arbeit von den Themen Frauen und Frauenrechte geprägt. Sie gründete 1968 den „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“. 1972 war sie Mitbegründerin der Frauengruppe „Brot und Rosen“. Sie setzte sich gegen den Paragraphen 218 ein und drehte Filme wie Macht die Pille frei? (1972) und Männerbünde (1973). Oft geht es ihr um die Rolle der Frau, hin und her gerissen zwischen privatem und gesellschaftlichem Leben.

„Warum aber“, wird eine Zuschauerin im Metropolis ihren Unmut los, „läuft Freya diesem Traugott so lange hinterher?“ Das habe sie nicht ertragen können. Darauf Sander: „Nicht selten verstehen wir nicht, warum bestimmte Leute sich lieben.“ Hundertfach habe sie nach Filmvorführungen von Frauen gehört: „Woher haben Sie das? Das ist ja meine Geschichte!“

Jennifer Neufend

Heute, 19 Uhr: Helke Sander, „Dazlak“; Heute, 21.15 Uhr: Carsten Knoop, „Der Vorführ-Effekt“ / „Die kalte Wut des Makalu“; Mo, 21.15 Uhr: Helke Sander, „Die Deutschen und ihre Männer – Bericht aus Bonn“; alle Filme im Metropolis, Dammtorstraße 30a