Glasklar im Sucher

Das Neue Museum Weserburg präsentiert den Medienkünstler Antoni Muntadas

Das Stadion als medial übersteigerte Reizüberflutungs-Keule

Holzzaun, Vorgarten, exakt geschnittener Rasen, dahinter ein Einfamilienhaus mit Ziegeldach. Alles sauber, alles super, alles wie aus dem Katalog. Vorstadtidylle in Bremen-Farge. Zumindest im rechten Teil dieses Schwarz-Weiß-Fotos aus den 1980er Jahren. Links dagegen eine Wand, die über den Bildrand ins Unermessliche hinauswächst. Mächtiges Grau mit schwarzen Flechten. Die Wand gehört zum Bunker Valentin, jenem Monsterbau, in dem die Nazis im Zweiten Weltkrieg mindestens 4.000 Zwangsarbeiter umbrachten. Heute, und das dokumentiert das nächste Foto im Neuen Museum Weserburg, dient der Bunker unter anderem als Theaterkulisse für Johann Kresniks Inszenierung der „Letzten Tage der Menschheit“.

Für BremerInnen ist diese Gebäudeumnutzung keine Neuigkeit. Den spanischen Medienkünstler Antoni Muntadas aber hat sie so beeindruckt, dass er sie aufgenommen hat in sein eigens für Bremen geschaffenes Künstlerbuch „On Translation: Erinnerungsräume“. Entstanden ist dieses im Zuge eines Artist in Residence-Aufenthalts Muntadas’ in Bremen: Der international aktive Documenta-Teilnehmer mit Wohnsitz New York kam zum Arbeiten an die Weser und hat entschieden, sich künstlerisch mit der Stadt auseinander zu setzen. Was gut passt zu seinem sonstigen Arbeitsstil: Muntadas ist einer, der in erster Linie mit vorgefundenem Material arbeitet. Unterstützt wurden Buch und Ausstellung mit 36.000 Euro vom Projektbüro Kulturhauptstadt.

Muntadas’ Künstlerbuch dokumentiert anhand von Fotos und kurzen Texten die Entwicklung von 17 spezifisch bremischen Orten. Das frühere Bremer Zentralbad taucht beispielsweise auf, zwischenzeitlich eine Disko, heute Musical-Theater. Oder, glasklar: die AG Weser, 1905 eine emsige Werft in Schwarz-Weiß, 2004 ein menschenleeres Space Center in Hochglanz. Muntadas’ Arbeit bedeutet zunächst die Fleißarbeit, unzählige Fotos zu sammeln. Dabei halfen ihm Studierende der IUB und der Hochschule für Künste, weswegen Muntadas sagt: „Die Arbeit ist ein Gruppen-Projekt.“ Fraglich bleibt, was das Buch zum Künstlerbuch macht: Zu nah ist die Publikation an einem kritischen Stadtführer, zu geläufig ist die Bremer Problematik, mit Stadtentwicklungsprojekten mitunter gegen die Wand zu fahren.

Neben dem Künstlerbuch präsentiert das Studienzentrum für Künstlerpublikationen (ASPC) im Neuen Museum Weserburg eine Ausstellung von ausgewählten Arbeiten Muntadas’ aus den letzten 30 Jahren. Das Internetprojekt „The File Room“ ist zu sehen, mit dem Muntadas Zensurfälle im Kunstbetrieb international veröffentlichte. Oder die Videoprojektion „Media Stadium“, die die Welt des Stadions als lärmendes Medienereignis entfaltet: Rockstars, Priester, Militärs und Sportler inszenieren sich, Fans sind verzückt, Scheinwerfer glühen und das alles in schnell geschnittenen Bildern auf einem Multiscreen.

Das Stadion als medial geschwungene Reizüberflutungs-Keule, die Medienöffentlichkeit als übermächtiges Synonym für Öffentlichkeit: Muntadas hat’s nicht erfunden. Nur gesammelt hat er’s und mal reibungsvoll, mal affirmativ neu zusammengesetzt. Klaus Irler

bis 6.2.05; am Samstag um 20.30 Uhr zeigt das Kino 46 Muntadas’ Film „Political Advertisement“. Am 26.10. hält Antoni Mercader um 18 Uhr in der Kunsthalle einen Vortrag über Muntadas’ Arbeit.