Der Aufstand der Hartnäckigen

Die Amerikaner verlieren ihre Illusionen: Der Widerstand im Irak ist nicht zu bändigen. Es gibt zu viele Waffen, zu viele Unzufriedene, zu viele Kämpfer

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

Das Muster ist immer das gleiche. Irgendwann vor Mitternacht knallt es, manchmal nur einmal, manchmal sind mehrere Explosionen hintereinander zu hören. Manchmal dumpf von weither, manchmal so nahe, dass das Beben zu spüren ist. Die Reaktion der Iraker ist ebenfalls stets die gleiche. Sie stellen den Fernseher an oder drehen das Radio auf, um zu erfahren, wo die Granaten eingeschlagen sind. Meist werden sie enttäuscht. Von derzeit rund 25 Attacken täglich im ganzen Land werden gerade ein halbes Dutzend von den arabischen Fernsehstationen gemeldet. Zwei bis drei schaffen es gar in die internationalen Nachrichten.

Gut ausgerüstet mit Waffen aller Art und geleitet von tödlicher Bestimmtheit hat sich der unsichtbare Gegner der US-Truppen als hartnäckiger erwiesen, als Washington ursprünglich angenommen hat. Dies gibt auch die US-Administration inzwischen offen zu. „Es ist eine Besatzung, was haben Sie denn erwartet?“, fragt Hoda Nueimi, Politologin an der Universität Bagdad. Für sie ist militanter Widerstand legitim, solange er sich nicht gegen Zivilisten, sondern US-Soldaten und US-Vertreter richtet. Eine Meinung, die in Bagdad breite Zustimmung findet. Der Anschlag auf den US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz oder der Abschuss des US-Transporthubschraubers am Sonntag stoßen bei vielen auf Genugtuung, manche sprechen gar davon, dass mit solchen Aktionen „die verlorene irakische Würde wieder hergestellt wird“.

Einhellig werden dagegen Anschläge wie der auf das Internationale Rote Kreuz oder gegen irakische Polizeistationen als Terror verurteilt, sei es in der Predigt des radikalen Schiitenführers Muktada al-Sadr letzten Freitag in der südirakischen Stadt Kufa oder auf Pamphleten, die in sunnitischen Moscheen überall im Land im Namen des „Islamisch nationalen Widerstands“ verteilt wurden. Die meisten Iraker distanzieren sich mit dem typischen „Wir waren es nicht“-Reflex“ und verweisen im Zusammenhang mit diesen Anschlägen auf vermeintliche ausländische Kämpfer, die in den letzten Monaten in das Land eingesickert sind.

„Wir glauben, dass einige ausländische Einzelkämpfer gekommen sind, um die Karten neu zu mischen und weitere Gegenaktionen der Besatzungsarmee zu provozieren“, meint auch Musana Harith al-Dhari, Professor für Islamisches Recht an der Bagdad-Universität. Der Rechtsgelehrte sagt, er gehöre nicht zum „islamischen Widerstand“, verfüge aber über genug Insiderwissen, um nicht spekulieren zu müssen. Sicher hätten die Attentäter auf das UN-Hauptquartier oder das Rote-Kreuz-Gebäude die typisch islamische Methode der Selbstmordanschläge gewählt, aber die friedlichen, zivilen Ziele, so al-Dhari, „widersprechen unserer islamistischen Ideologie“.

Einige Kommentare in irakischen Zeitungen widersprechen dieser Analyse: „Ein Versteck von ausländischen Al-Qaida-Kämpfern könnte in Bagdad nicht lange geheim gehalten werden, es sei denn, sie haben lokale Helfer“, lautet ihr Argument. Für die Politologin Nueimi bleibt das Ganze nebulös. „Die Amerikaner schreien immer ‚al-Qaida‘ und ‚ausländische Kämpfer‘ “, sagt sie, „wir möchten, dass sie uns nur einen Einzigen von ihnen im irakischen Fernsehen mit Namen und Nationalität präsentieren.“

Die US-Militärs würden das Ganze derzeit noch gern als technisches Problem behandeln. Sie glauben immer noch, die unzähligen Waffen im Land einsammeln zu können – 500 Dollar bieten sie inzwischen für eine Panzerfaust. Doch dies ist eine Illusion. Die irakische Armee hatte ihnen in den letzten Kriegstagen eben nicht das allseits gefürchtete „Stalingrad in Bagdad“ geliefert. Stattdessen sind die Soldaten und Offiziere still und heimlich abgetaucht, mit einem riesigen Arsenal leichter Infanteriewaffen, aber auch Minen, Mörsern und kleinen Raketen. Sie haben sie einfach mit nach Hause genommen. Es sind Waffen aus Russland, Frankreich, aber auch den USA, geliefert in Zeiten, als der mit Petrodollars zahlende Saddam Hussein noch auf der Freundesliste stand. Militärexperten gehen davon aus, dass nur ein Zehntel dieser Waffen ausreicht, um die US-Truppen in einen jahrelangen Guerillakrieg zu verstricken. Dazu kommt, dass jeder irakischer Haushalt seine private geladene Waffe zur Selbstverteidigung bereithält.

Die eigentliche Lösung ist nicht technischer, sondern politischer Natur. Die Iraker brauchen eine politische Alternative zum militanten Widerstand, eine Perspektive, die zum Ende der Besatzung führen kann. Viele verlangen keinen sofortigen Abzug der Truppen, schon aus Angst vor einem Bürgerkrieg, aber doch erste praktische Schritte (siehe Interview).

Unterdessen halten die US-Verwalter des Irak weiterhin an ihren PR-Behauptungen fest, hinter den Angriffen auf ihr Militär steckten Reste des alten Regimes oder Al-Qaida-Kämpfer. In Wirklichkeit besteht der Widerstand wohl aus einer wilden Mischung aus Saddam-Loyalisten, Islamisten, arabischer Nationalisten, Angehörigen von Stämmen, die sich in ihren Traditionen bedroht fühlen, und Leuten, die einfach offene Rechnungen mit den Besatzern begleichen wollen. Die Grenzen werden zunehmen fließend, wenngleich nicht auf hoher operativer Planungsebene.

„Die Islamisten haben kein Problem, mit den arabischen Nationalisten zusammenzuarbeiten, solange es sich nicht um Vertreter des alten Regimes handelt, die nur ihre Priviliegien zurückhaben wollen“, sagt Professor al-Dhari. „Wer sagt denn, dass ein Islamist nicht nationalistisch sein kann und ein Nationalist kein Muslim ist“, fasst er die neuen Allianzen zusammen.

„Die US-Politik im Irak ist arrogant und dumm, eine pubertäre Art, sich über andere zu erheben und nicht zuzuhören“, sagt die Politologin Nueimi. Nicht alle Iraker, ob Islamisten oder Nationalisten, teilten dieselben Werte, fährt sie fort, aber die Amerikaner hätten eines geschafft: „Die Iraker haben heute ein gemeinsames Ziel: die Besatzung zu beenden und ihre Angelegenheiten selbst zuverwalten.“