Johans bestes Spiel

Werders französischer Spielmacher Johan Micoud bietet in der Champions League beim RSC Anderlecht eine Galavorstellung. Dank dieser gewinnt Bremen 2:1 und darf aufs Achtelfinale hoffen

AUS ANDERLECHT BERND MÜLLENDER

Das kleine Königreich Belgien ist bekanntlich ein ganz besonderes Land. Doppelsprachigkeit gehört hier zur Staatsräson, im Stadtgebiet von Brüssel wird das besonders penetrant zelebriert. Selbst die Schutzwesten der Polizei im Anderlechter Stadion VandenStock sind grundsätzlich bilingual beschriftet: Mal liest man oben auf flämisch „Politie“ und darunter französisch „Police“ und mal paritätisch genau umgekehrt. Auch alle Durchsagen laufen zweisprachig. Bei der Mannschaftsaufstellung der Bremer aber war Merkwürdiges passiert.

Da nämlich kündigte der Stadionsprecher mit der Nummer zehn, nummer tien, numéro dix einen „Johanne Mikutt“ an, was eher nach einer Mischung aus Schwedisch und Serbisch klang denn frankophon. Ist ausgerechnet Johan Micoud, Werders unnachahmlich eleganter Mittelfeldstratege, in Belgien unbekannt? Nun wäre der Lapsus des Sprechers nur eine Randerscheinung, hätte nicht die Mannschaft des RSC Anderlecht diese Ignoranz auf dem Platz zielstrebig fortgesetzt und den schlaksigen Werder-Spielmacher 90 Minuten mit einer seltsamen Nichtbeachtung gewürdigt. Micoud nutze alle Freiheiten zu einer Galaperformance und konnte nachher davon sprechen, er habe wohl „eine meiner besten Partien für Bremen gemacht“.

Micoud hatte technische Feinheiten im Akkord zelebriert – nie als L’art pour l’art sondern immer als Ausgangspunkt millimetergenauer Pässe und toller Spieleröffnungen. Ein halbes Dutzend bester Chancen und beide Tore durch Ivan Klasnic bereitete er vor. Eine Szene war formidabler als die andere. Und er stibitzte mit schlauen Stochereien so manchen Ball, um nach einer kleinen Körperwindung und einem schier mühelosen Pass die ganze RSCA-Abwehr zu zerlegen. Micouds Spielfreude war ein anderes Wort für Augenweide.

Und auffällig: Als der Franzose in der Schlussphase sichtlich platt war, konnte sich Werder aus der wütenden Schlussoffensive der Belgier kein Mal mehr befreien. Bei acht gegnerischen Torschüssen in den letzen 15 Minuten brauchte die Bremer Ersatz-Elf (ohne sieben malade Nationalspieler) noch einiges Glück, um den Sieg und damit beste Aussichten aufs Achtelfinale sicherzustellen (zumal Konkurrent Valencia 1:5 gegen Inter untergegangen war).

Und alle lobten ihren Johanne Mikutt nachher überschwänglich. Miroslav Klose, der einsatzfreudig, aber fortunefrei agierte: „Wir wissen doch, was wir an ihm haben.“ Manager Klaus Allofs: „Heute hat er es allen gezeigt, in einer für ihn kritischen Phase.“ Dieses kleine Nachtreten bezog sich auf Micouds Laissez-faire-Verhalten am vergangenen Samstag, als sein Fehler den Mainzer Siegtreffer ermöglicht hatte und einige Kritik aufgebrandet war, zumal nach einem der wenigen Interviews des wortkargen Mannes, in dem er ein petit peu zu viel an Trainer Thomas Schaaf herumgekrittelt hatte. Doch auch der Coach war versöhnt: „Johan hat die richtige Antwort gegeben. Eine überragende Partie.“ Und Micoud dazu: „Kritik bringt mich nach vorne.“

Der Ex-Schalker Marc Wilmots, der heute in belgischem Jobsharing Trainer des Erstligisten St.Truiden ist und nebenher als Senatsabgeordneter die politischen Geschicke des Landes mitlenkt, urteilte in Anderlecht: „Ich kenne Johan Micoud aus Bordeaux. Er ist immer für die letzten Pässe da. Die französische Nationalmannschaft braucht ihn.“ In der Equipe tricolore stand Werders Lenker immer im Schatten des noch eine Prise genialeren Zinedine Zidane und kam bislang nur auf karge 16 Einsätze. Zidane hat den Job für den Vaterlandsfußball bekanntlich drangegeben. Auch mit 31 hat Micoud Perspektiven für die WM 2006.

Im Fußball gilt nur der Augenblick. Und weil Genialität sprichwörtlich die Schwester des Wahnsinns ist, werden die Bremer ihren eigenwilligen Franzosen vielleicht schon am Samstag gegen Nürnberg wieder eine Diva nennen und sich an den Mysterien ihres Monsieur Micoud reiben. Die Werder-Führung wünscht sich übrigens, dass ihr Weltstar, Bremer seit 2002, endlich besser Deutsch lernt. Doch diese Sprache ist halt plus difficile als Pässe so fein gewirkt wie Brüsseler Spitze – selbst im Gewitter und Platzregen der ersten Halbzeit, zu der der Stadionsprecher auf deutsch ungewollt passend „zum 3. Matschtag“ begrüßt hatte.

Und noch eine sprachliche Erkenntnis steuerten die Belgier dem Abend bei. Das im hiesigen Fußballsprech unausrottbare „Ja gut“ heißt auf flämisch „Ja okay“. Der Anderlechter Trainer hatte die Floskel so oft in seine Analyse eingestreut wie Micoud vorher Kabinettstückchen in seine Show. Bedankt, Monsieur Hugo Broos; merci, Herr Mikutt.