PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH
: Die Gnade des späten Empfangs

Prominente lassen gerne warten. Zu den Schlimmsten unter ihnen soll Edmund Stoiber gehören

In der aktuellen Zeitschrift Die Bunte misst die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) eine Warte-Einheit in „einem Stoib“. Ein Stoib dauert ungefähr eine Viertelstunde. Bei ihren Treffen müssen die deutschen Ministerpräsidenten aber oft auch zwei bis drei Stoib warten, ehe der Bayer erscheint. Manche vermuten sogar, Edmund Stoiber (CSU) schließe sich vor jeder Sitzung auf der Herrentoilette ein, nur um nicht pünktlich zu sein.

Prominente lassen gerne warten. Zu den Schlimmsten unter ihnen soll Edmund Stoiber gehören. Warten lassen heißt, seine Wichtigkeit unterstreichen. Warten lassen ist ein Ritual der Macht. Wer warten muss, hat Zeit, sich seiner Unwichtigkeit bewusst zu werden.

Wem die Gnade des späten Empfangs zuteil wird, der tritt mit der richtigen Haltung ins Zimmer: Unterwürfig und dankbar. Antichambrieren nannten die Deutschen unter napoleonischer Besetzung das Auf- und Abgehen im Vorzimmer eines Entscheidungsträgers, ehe man schließlich eingelassen wurde und sein Begehr vortragen durfte. Napoleon ist tot, aber das Antichambrieren hat überlebt.

In meinem Katalog der Wartezeiten liegt unübertroffen Saif Gaddafi an erster Stelle. Der Sohn von Muammar Gaddafi hatte – nach langer Wartezeit natürlich – endlich einen Gesprächstermin eingeräumt, an einem Vormittag in Wien. Mehrere Stunden ließ man mich im Flughafengebäude warten, ehe zwei Sonnenbrillenträger mich endlich abholten. Als ich dann am Nachmittag schließlich im Wohnzimmer von Herrn Gaddafi saß, brauchte es nochmals eine halbe Stunde, ehe die Fahrstuhltür aufging und ER erschien.

Was er dann im Gespräch sagte, war so „bedeutend“, dass der Redaktionsleiter mein Interview umgehend in den Papierkorb warf.

Andere, die mehr Erfahrung mit Interviewterminen bei Wichtigmeiern haben, meinen: Ein halber Tag Verspätung sei doch keine Zeit. Ich kenne einen Kollegen, der wartete vier Wochen in einem Hotel in Harare, der Hauptstadt von Simbabwe, auf das versprochene Interview mit Staatspräsident Robert Mugabe. Nach vier Wochen wurde ihm mitgeteilt, der Präsident habe nun doch keine Zeit.

Hollywood-Stars wie Bruce Willis haben die Warte-Methoden verfeinert: Sie geben Interviews meist nur einer ganzen Gruppe von Journalisten, die dann am vereinbarten Ort kollektiv warten, bis seine Durchlaucht durch eine Seitentür auftaucht und genau die abgemachte Viertelstunde die immer selben Fragen mit den immer selben Antworten bedient.

Wer sich darüber ärgert, hat schon verloren. Übel gelaunt, wird auch das Interview misslingen, denn die schlechte Stimmung springt auf den Gastgeber über.

Warten ist geschenkte Zeit. Warten ist die Chance, den Kopf zu sortieren, sich noch einmal vorzubereiten auf alle Fragen, die man stellen möchte. Angela Merkel gilt als pünktlich. Das ist ihr Fehler. Wer nimmt so jemanden ernst? Sie kommt meist nur wenige Minuten zu spät.

Sechs „Merk“ sind ein „Stoib“. Das sagt alles, warum sie niemals Kanzlerkandidatin der Union werden wird. Stoiber dagegen lehrt uns, geduldig zu sein, und der Geduldige ist weise, steht in der Bibel (Sprüche Salomons 14,29). Wir warten zu wenig, wir sind immer ungeduldig. Alles soll subito erledigt werden, überall wird gedrängelt und geschubst. Dabei liegt doch in der Ruhe die Kraft.

Um die Glühbirne zum Glühen zu bringen, brauchte es rund 1.500 Fehlversuche. Wir ärgern uns heute aber schon darüber, wenn das neue Mautsystem Toll Collect nicht beim ersten Mal funktioniert. Aber „der Ärger ruht im Herzen der Toren“, um noch einmal den Prediger Salomon zu bemühen (7, 8–9).

Die ganze Welt hat uns ausgelacht. Am lautesten die Österreicher, die ihr primitives, elektronisches Mautsystem feierten, als hätten sie das Rad neu erfunden. Wir aber warteten – und haben nun bald das modernste System der Welt. Konfus kommt eben nicht von Konfuzius, dem Meister der Geduld.

Fragen zum Stoib? kolumne@taz.de Montag: Matthias Urbach PERFEKTER KAUF