DIE US-WAHLEN STEHEN JETZT SCHON UNTER MANIPULATIONSVERDACHT
: Unregelmäßigkeiten mit System

Expräsident Jimmy Carter steht seit Jahren einem nach ihm benannten Zentrum in Atlanta vor, das Wahlen in der ganzen Welt daraufhin prüft, ob sie frei und fair verlaufen. Das angesehene Institut entspringt der selbstbewussten Mission Amerikas als „ältester Demokratie der Welt“. Doch nun lenkt Carter den Blick auf die eigene Heimat: Er befürchtet in Florida dasselbe Desaster wie vor vier Jahren.

Jimmy Carter moniert, die Verantwortlichen, vorneweg der Gouverneur und Bush-Bruder Jeb, hätten aus dem Debakel von 2000 in dem battleground state Florida nichts gelernt. Weiter werden ungeeignete Stimmkarten eingesetzt. Noch schlimmer ist aber, dass vorbestrafte Schwarze, die größtenteils demokratisch wählen würden, voreilig oder illegal aus dem Wahlregister gestrichen wurden und dass der Wahlaufsicht erneut eine enge Getreue der Bush-Familie vorsteht.

Manipulationsverdacht und Intransparenz sind jedoch nicht auf Florida beschränkt. In diesem Jahr haben sich besonders viele neue Wähler registrieren lassen, aber es ist nicht klar, ob sie auch effektiv wählen können, und die Streichung von Afroamerikanern aus den Wahllisten ist in vielen Staaten ein Übel. Auch ist zu befürchten, dass wegen inkompetenter und oft einseitiger Wahlaufsicht Einschüchterungsversuche gegen Minderheiten, wie sie schon früher vorgekommen sind, wieder nicht beanstandet werden können.

Große Probleme macht auch die Technik: Hat das archaische Equipment die USA vor vier Jahren zum Gespött gemacht, scheint die mit elektronischen Wahlmaschinen betriebene Reform nun eine Verschlimmbesserung zu sein. Wähler wie Aufsichtspersonen sind mit dem E-Voting nicht vertraut, Hackerangriffe stehen zu befürchten und am Ende gibt es nicht einmal eine Möglichkeit, die elektronische Stimmabgabe zu überprüfen. Befürchtungen erweckt auch die unsichere Auszählung von Briefwahlstimmen vor allem aus dem Ausland, und es ist nicht gewährleistet, dass im Jahr 2000 erwiesene Manipulationen der Wahlen durch Parteigänger beider Parteien dieses Mal verhindert werden können.

Anfechtbar ist die Wahl übrigens bereits jetzt, weil etwa in Florida der dritte Kandidat Ralph Nader auf Briefwahlunterlagen verzeichnet war, bevor seine Kandidatur überhaupt feststand. Vorläufiges Fazit: Egal ob Bush oder Kerry gewinnen wird – einzig das Vertrauen, das die USA als älteste Demokratie der Welt nach wie vor genießen, wird verhindern, dass der nächste Präsident nach dem zweiten Debakel in Folge so scheel angesehen wird wie ein Karsai oder, pardon, Lukaschenko. Und die Wahlnacht wird wahrscheinlich auch dieses Jahr wieder sehr, sehr lang werden. CLAUS LEGGEWIE

Der Autor hat für die Bundeszentrale für politische Bildung mit arte, ZMI und taz ein Dossier zur US-Wahl erstellt: www.bpb.de, www.arte-tv.com/usa, www.taz.de/uswahl