Telefoniert einfach!

Keiner braucht den Nato-Gipfel. Die Presse erst recht nicht

„Wenn wir alle gar nicht mehr kämen“, sagt der Kollege von einer staatstragenden Zeitung auf dem Rückweg aus Straßburg, „wenn wir sie einfach ignorierten, dann würden sie die Natogipfelei ganz schnell einstellen.“ Oder nicht?

Ganz genau. Niemand braucht Nato-Gipfel. Die Nato-Staaten-Chefs könnten sich ebenso gut zu einer Telefonkonferenz verabreden. Das wäre wesentlich effizienter, wären sie doch nicht durch Protokoll und Essen abgelenkt. Die Nato-Gegner würden sich sicherlich ebenso gern zu einem Freizeitcamp treffen.

Einmal ganz abgesehen von den armen Einwohnern der Nato-Gipfel-betroffenen Städte, die tagelang in Geiselhaft genommen werden. Die im Elsass führende Tageszeitung Dernières Nouvelles d’Alsace war zwar sichtlich stolz auf das Großereignis vor Ort, überlegte aber auch, ob das menschenleere Straßburg eher an die Wüste Gobi oder an eine Stadt in Atomkriegsalarm erinnerte.

Es findet auf Nato-Gipfeln im Übrigen auch nichts statt, worüber zu berichten die Welt vorwärtsbrächte. Das Wichtigste ist immer vorher bekannt. Und nur weil die mittlerweile 28 Regierungschefs samt Außen- und Verteidigungsministern in einem Konferenzzentrum zusammenkommen, erfährt man nicht mehr über ihre Absichten, als wenn sie telefonieren würden. Es fliegen zwar tausend Journalisten aus aller Welt ein. Doch gewinnen sie nicht mehr wertvolle Information, als wenn man die ganze Arbeit den Kollegen von natochannel.tv überließe.

Es werden Bilder produziert von Nato-Häuptern auf roten Teppichen, hinter Stehpulten, aktuell: als Gruppe auf einer Brücke. Doch all die Journalisten ohne Kamera werden in ein Medienzentrum fern von allem gesteckt. Darin können sie kaum mehr tun als Fernsehen zu gucken. In Straßburg baumeln unterm Dach der umgerüsteten Messehalle weiße Sterne, die an das Nato-Symbol erinnern sollen. Es gibt für jeden eine Begrüßungstüte mit Nato-Gummibärchen und Schreibblöcken.

An die Nato-Politiker aber kommt man nicht heran. Es sei denn, ein, sagen wir, deutscher Verteidigungsminister erhört das Flehen seines Presseoffiziers und kommt auf ein zweiminütiges Statement herüber. In dem er dann nichts Neues sagt.

Um Barack Obama beim Auftritt vor jungen Menschen in der Sporthalle zu sehen, müssen die Journalisten zwei Stunden vor der Sicherheitsschleuse warten. Wer jetzt nochmal auf die Toilette muss – schnell, schnell! Das ist aber noch gar nichts gegen die Erzählung des Kollegen, der, dem Gipfelablauf folgend, zwischen Baden-Baden und Straßburg hin und her fuhr: Acht Stunden durfte er dank blockierter Straßen im Pressebus verplempern.

Größtes Erfolgserlebnis der Journalisten: ein Ticket für den einzigen Bus zu ergattern, der noch über die deutsch-französische Grenze fährt – nach Hause.

ULRIKE WINKELMANN