„Das ist alles wirklich Plastik, haha“

Maschinengenerierte Minimal Music zu atemlosem Sprechgesang: Vor zwanzig Jahren war die Deutsch-Amerikanische Freundschaft Pop-Avantgarde. Im Frühjahr erschien ein neues DAF-Album. Ein Gespräch mit DAF-Dichter Gabi Delgado-Lopez über künstlerische Verwertungszyklen, eine Kindheit in Andalusien und die Ökonomie von schwulem Sex

Interview NIKE BREYER

Warten in Berlin-Mitte. Ein Anruf bringt Klarheit: Gabi Delgado, Sänger der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft, ist auf dem Weg – zum Arzt. Ein Interviewtermin? Sorry, vergessen. Gerade als sich die Interviewerin damit abgefunden hat, klingelt das Mobiltelefon: Ob halb fünf okay wäre, in einem Restaurant am Hackeschen Markt? Im Garten des Lokals sitzt er. Mit Gipsarm und „Schweppes“ mit Eis. Er lächelt zur Begrüßung, sieht noch El-Greco-mäßiger aus als auf dem siamesischen Doppelporträt des neuen DAF-Albums. Anbrennen lassen hat der nichts. Mit dem immer noch stark spanischen Akzent klingen die schrägsten Bekenntnisse irgendwie lieb und drohend zugleich.

taz.mag: Im Frühjahr, Señor Delgado, haben Sie und Robert Görl nach fast zwei Jahrzehnten Produktionspause das in der Tonlage fast unveränderte Album „Fünfzehn neue DAF-Lieder“ herausgebracht. Bei den Konzerten diesen Sommer kam die Musik auch bei jungen Hörern gut an. „Die Götter in Schwarz sind zurück“, rufen die alten Fans. Fühlen Sie sich als solcher?

Gabi Delgado-Lopez (lächelt fein): Ich halte den Erfinder eines Sequenzers für DAF fast für wichtiger als mich und Robert. Ohne Scherz. DAF, das war ein Zeitgimmick, das war ein Style, der total passte, wie das Neondreieck. Er passte, aber er entstand automatisch. Und entgegen dem, was die Musikhistorie sagt, haben den nicht irgendwelche genialen Leute erfunden. Nein, die Musikgerätehersteller Yamaha, Corg und so weiter haben ein Angebot gemacht, und wer mutig genug war, dann zu sagen, das ist aber Kunst, so wie es da rauskommt, der war der Gewinner. Die anderen haben gesagt, das sind nur irgendwelche Piepser. Wir haben gesagt: Das ist Musik.

Andere Musiker haben damals nicht mit Sequenzer gearbeitet?

Viele sogar. Serielle Musik, repetitive Musik ha’s bei Varese schon gegeben. Auch im Pop gab es lange vor uns Tangerine Dream und Kraftwerk. Die haben den Syntheziser, den es damals gab, angenehm moduliert. Da war das dann perfekte Hippiemusik.

Der DAF-Synthie klang anders.

Richtig, wir waren berührt von der Energie des Punk. Ich stand sehr auf Punk, immer. Aber ich habe das Instrumentarium nicht gemocht. Ich hab nie verstanden, warum sich eine so moderne, freche, innovative Musik um die Instrumente der Väter versammelt, also die alten Rock-’n’-Roll-Bässe und (angewidert) Gitarren, dieses altmodische Zeug. Punk war ja oft nur schlecht gespielter Rock ’n’ Roll. Ich wollte mit anderen Instrumenten Punk machen.

Neue Töne für eine neue Musik.

Auch mit einer neuen Optik natürlich. Es ging nicht nur um Provokation. Man hatte neue Ideen: dass man nicht Musik studieren muss, um Musik zu machen, dass man dazu kein Geld braucht; dass die Bands eigene Plattenfirmen gründen und sich getraut haben, ins Studio zu gehen ohne Toningenieur.

Die Sex Pistols haben mit Malcolm McLaren und dem Westwood-Shop „Sex“ aber ziemlich professionelles Marketing betrieben. Alternativ war das nicht.

Okay, die Sex Pistols waren wirklich nicht independent. Die waren bei drei Plattenfirmen hintereinander, zum Schluss bei Virgin. Trotzdem sind in der Zeit Labels entstanden, die heute noch wichtig sind, wie Mute Records oder das Vertriebssystem Rough Trade. Da ist auch dieses Bewusstsein entstanden, dass man nicht nur Musik macht, sondern sich selbst produziert, die Cover gestaltet, sich selbst vermarktet. Diesen Gesamtgedanken gab’s noch nicht so konsequent in der Musik.

Jugendbewegung und Wandervogel haben vor hundert Jahren schon selbst verwaltete genossenschaftliche Betriebe gegründet und die eigenen Sandalen, Kleider, Zelte, Liederbücher und Musikinstrumente hergestellt, vertrieben und konsumiert.

Auch bei Grateful Dead, also zu Hippiezeiten, gab es so einen ähnlichen alternativen Musikmarkt. Aber für Europa, speziell für England mit seiner verkrusteten Popindustrie, war das was ganz, ganz Frisches. Die nächste technische Revolution – und das hätte man sich damals im Punk gewünscht – war, dass die Produktionsmittel heute so billig sind, dass jeder für fünftausend Euro das Equipment hat, um eine Superplatte zu Hause zu machen. Damit ist (lacht) zum ersten Mal die Produktion wirklich in den Händen der Werktätigen.

Popmusik durch Popproduktion.

Ja, so ähnlich. Dadurch ist dann diese PC-Musik entstanden. Ich denke, der nächste Schritt sind die Konsolen. DAF ist für mich ja nur ein Ding. Darüber hinaus mache ich jetzt Musik auf der Playstation. Da entsteht wieder ein richtiger Underground, wie damals. Das gab’s ja schon oft. Ich hab Punk mitgekriegt, ich hab Techno mitgekriegt. Jetzt erlebe ich zum dritten Mal, wie da was Neues entsteht. Das sind so scenes, das sind Emulgatoren. Man macht Musik und Kunst – und alles mit der Playstation, statt blöd Auto zu fahren (lacht). Am Anfang, als die Deejays kamen, standen immer die Jungs drumrum, dreißig, vierzig, und haben geguckt: Was machen die?

Das ist lange her.

Aber wenn ich auflege mit den Konsolen – ich mach das wie ein Deejay, ich mixe mehrere Playstations –, da stehen sie wieder alle um mich rum.

Klingt das wie DAF?

Ah, guck mal, auf der neuen DAF-Platte dieses „Du bewegst dich“. Das ist von mir. Das ist mit Playstation gemacht. Da ist kein Synthesizer dabei. Das ist also alles wirklich … Plastik, haha.

Weil es neu ist, hat es einen besonderen Kick?

Ja, so wie das da hinten so schön steht (zeigt auf ein Plakat) „Mach coole Musik und spiel sie deiner Freundin vor“. Als ich fünfzehn war, hat sich die Jugend extrem über Musik definiert. Man hat sich die neue Pink Floyd oder Deep Purple gekauft oder je nachdem, auf was man stand. Das Geilste, was es heute gibt, ist die Konsole. Eine Playstation ist einfach das Großartigste.

Trotzdem kommen Sie und Robert Görl mit einem neuen DAF-Album raus.

David Bowie hat mal gesagt, es ist viel besser, eine Sache als Zweiter zu machen. Weil der Zweite das Geld verdient. Ich denke so ähnlich. Ich verwerte meine Sachen gerne mehrfach. Das gehört bei mir nicht nur zum Geschäftsprinzip, sondern zu meiner Auffassung von Kunst überhaupt, dass man sich mit dem eigenen Werk immer wieder beschäftigen muss.

Wie soll das aussehen?

Ich achte zum Beispiel sehr darauf, dass man die Rechte zurückkriegt. Ich habe immer alle meine Texte, alle meine Gruppennamen schützen lassen, bis auf DAF. Das ist nicht zu schützen. Hab ich tausendmal geprüft. Aber DAF/DOS, die Delkom-Sachen und alles andere. Titelschutz kostet gar nicht mal viel und lohnt sich für einen Texter immer. Erstens finde ich das geschäftlich sinnvoll, an mehreren Verwertungszyklen teilzunehmen. Aber das Wichtigste ist, dass es für mich keinen Sinn hat, etwas zu erhalten, wenn es mir nichts mehr bedeutet. Angenommen, DAF hätte für mich heute keine Bedeutung, dann würde ich im Jahr 2005 auch keinem erlauben, die alten Dinge weiter aufzulegen. Das verlange ich übrigens auch von anderen Künstlern, dass sie sich fünfzehn Jahre später mal ihren Film angucken und dann einen Kommentar dazu drehen oder etwas Ähnliches. Ich finde, dass Kunst außerhalb ihrer Zeit eine Überprüfung braucht.

Und, passt DAF noch oder wieder?

Ich denke, es passt noch. Natürlich hat es heute nicht mehr den Clash des Innovativen, es hat ja auch viele Epigonen gegeben.

VNV Nation aus England etwa. Epigonen würd ich dazu aber nicht sagen.

Die mag ich sehr. Die haben auch einen Remix für uns gemacht. Die sind mir, scherzhaft gesagt, von unseren DAF-Kindern die liebsten. Nitzer Ebb mag ich auch, Front 242 weniger.

Warum nicht?

Man muss schon präzise sein, wenn man mit Bildern des Faschismus herumspielt. Da darf man nicht, wie die das tun, zu viel Pathos auftragen.

Faschismusbilder ohne Pathos geht natürlich nicht.

Ja. Gehört zusammen. Aber da muss ein Augenzwinkern sein. Das muss Esprit haben, dass es nicht so dunkel wird.

Sie haben präzise Vorstellungen von dem, was Kunst darf und was nicht.

Genau. Ich muss aber dazu ehrlich sagen, dass ich gar nicht von der Musik komme. Ich hab mich zunächst sehr für Literatur und Film interessiert. Schon als Kind. Lange bevor ich wusste, wer Tangerine Dream sind, wusste ich, wer Borges ist. Das hat mich sehr geprägt, meine Großmutter, meine spanische Familie. Zwischen zwölf und siebzehn hab ich auch Hegel (lacht) gelesen.

Sie sind als kleiner Junge nach Deutschland gekommen?

Stimmt. Aber zunächst bin ich in Spanien bei meiner Großmutter aufgewachsen und bei meinem Onkel, der Jesuit ist, also wirklich ein sehr gebildeter Haushalt. Mein Vater musste unter Franco Spanien verlassen, bei Nacht und Nebel, und hat hier, obwohl er Philosophielehrer ist, keine Arbeit gefunden, außer eben dann in den Kabelwerken Rheinshagen im Ruhrgebiet. Er konnte auch kein Deutsch und war erst mal illegal hier. Als ich geboren wurde, ist meine Mutter meinem Vater gefolgt und hat mich bei der Großmutter gelassen. Auch meine anderen Geschwister wurden so verteilt. Mit acht wurde ich dann nach Deutschland geholt.

Kindheit in Spanien, der Onkel Jesuit – hat der Katholizismus bei Ihnen Spuren hinterlassen?

Würde ich schon sagen. Speziell der Schmerzgedanke hat sich mir sehr eingeprägt. Dass man sich, wenn man etwas Böses getan hat, Steinchen in die Schuhe legt, bis die Füße bluten.

Puh, das macht man in Spanien?

Ja, um Buße zu tun. Der Priester sagte dann: Vierzehn Ave Maria, weil du mit Weihwasser gespritzt hast oder so (lacht). Aber man selber kann auch etwas tun und sich zum Beispiel Steine in den Schuh legen auf dem Nachhauseweg von der Kirche oder, wenn man was ganz Schlimmes gemacht hat, auch länger. Das habe ich sehr früh irgendwie auch als lustvoll empfunden, nicht nur als qualvoll. Eine präsexuelle Prägung, würde ich heute sagen.

Ich bin etwas schockiert. Was hat Ihr jesuitischer Onkel dazu gesagt?

Die sind viel aufgeklärter. Die finden solche Sachen barbarisch. Als er das mitgekriegt hat, fand er das ganz erschreckend. Aber mir hat das gefallen. Das mag ich noch heute. Jetzt hab ich diesen wunderschönen Sportunfall gehabt (hebt den eingegipsten, rotweiß bemalten Arm, lacht). Ich bin wirklich sehr schmerzunempfindlich.

Bei DAF haben Sie dieses Programm später gedreht – in eine latent sexuell gefärbten Pose von Dominanz.

Dazu muss man etwas wissen: Ich kam ja nach Deutschland und erlebte eine andere Sprache, ganz anderes Wetter. Das fand ich alles sehr beeindruckend. Aber das war auch ein anderes Niveau. Das war wirklich eine ziemlich schlimme asoziale Siedlung in Dortmund, in die ich damals gekommen bin. Da herrschte ein ganz anderer Ton. Als ich dann ein bisschen Deutsch konnte, habe ich das gemerkt. Vorher lebte ich sehr behütet in Andalusien, bei meiner Großmutter. Ich wurde dann sehr früh sexuell aktiv, mit zwölf, dreizehn, und hatte dann meistens ältere Freunde.

In dem Alter ist man noch ein Kind.

Ja, ganz bestimmt! Aber ich fühlte mich zu Hause nicht wohl und lernte dann interessante Männer kennen, die mir auch sehr viel beigebracht haben. Das war eine Zeit, da hab ich mich treiben lassen. Das hat mir gefallen so. Ich hab oft gedacht: Prima, jetzt bin ich wieder völlig willenlos (lacht), herrlich!

Das war kein traumatisches Erlebnis?

Ganz im Gegenteil. Ich muss sagen, nach Jahren mit diesen Fußballhools bin ich in diesen schwulen Kreisen erstmals gebildeten, gut riechenden Männern begegnet, die Godard kennen und mir was beibringen können über Kunst, Kultur, auch Genüsse der sexuellen Kultur. Mit fünfzehn, sechzehn hab ich dann härtere Sachen kennen gelernt. Ich war so fasziniert, dass ich eine Zeit lang quasi close encounters der sexuellen Art durchgezogen habe, also auf Anzeigen reagiert. Wenn da irgendwas drinstand, was ich noch nicht kannte, bin ich hingegangen, um zu wissen, was das ist.

Und Sie haben keine Angst gehabt? Das hat ja mit Macht, auch mit Demütigung zu tun.

Selbstverständlich hat es das. Aber ich denke, dass allgemein Kommunikation sehr viel mit Machtspielen zu tun hat. Ich habe Sex immer als eine besondere Möglichkeit von Kommunikation angesehen. Wenn man jemanden mag oder liebt oder man interessiert sich sogar nur für den, dann ist das wirklich eine wunderbare Form der Kommunikation. Zum anderen gibt es diese ganzen Spiele. Das ist dann wie verschiedene Sprachen.

Der Meister und der Sklave.

Ich bin da immer in beide Richtungen interessiert gewesen, also nicht eindeutig masochistisch oder sadistisch veranlagt. Das speziell Zärtliche an solchen Spielen ist, wenn es funktioniert, dass es genau bis zur richtigen Grenze geht. Dass es dann eben einfach nicht passiert, dieses Zuviel. Oder dass es auch nie in Aussicht ist, dass es so wäre. Obwohl das genau bis zum äußersten Limit geht. Also Sex und Gewalt unter Männern habe ich sehr früh auch im Fußballstadion kennen gelernt, bei diesen Prügeleien, mit diesen nackten Männerkörpern.

Gerade Fußballer haben diesbezüglich aber doch ein totales Abgrenzungsbedürfnis.

Ich weiß. Aber das ist im Prinzip für unterprivilegierte junge Männer eine sehr gute Sozialisation, die Homosexualität (lacht). Doch. Glaub ich wirklich. Da muss das nicht so sublimiert werden in Militärspielen und anderen Sachen.

Aber viele Homosexuelle haben diese Affinität zu Uniformen, zum Kosmos des Militärischen.

Ja, ja, natürlich. Ich werde nie vergessen, wie wir zu alten DAF-Zeiten einmal in London zu einer Party unterwegs waren: Robert, ich, ein Transvestit und noch so ein extremer Typ. Der Transvestit war als chinesisches Mädchen verkleidet im „Suzie Wong“-Kleid. Ich hatte ein American-Cop-Outfit, aber mit so Netzapplikationen hier (lacht). Da sind wir angehalten worden von der Polizei – einer von uns hatte ganz viel Kokain unterm Hintern versteckt. Da bin ich mit meiner Mütze immer an die Mütze von dem Polizisten gerannt beim Aufschreiben der Personalien (lacht). Da kam sehr schön zum Ausdruck, wie das alles so funktioniert mit den Uniformen. Der Anteil von Schwulen beim Militär ist aber trotzdem signifikant gering. Selbst wenn sie ins „Connections“ gehen im „Operation Desertstorm“-Outfit. Trotzdem würden die sich hüten, in den Krieg zu ziehen.

Sie borgen sich nur das Image.

Es ist wirklich ein gravierender Unterschied, das Spielen mit Sachen und das Wirklich-so-Sein. Manchmal guckt man hier in Berlin von weitem und denkt: Oh Shit, jetzt aufpassen, sind das echte Skinheads oder Schwule? Das kann ich schon von fünfhundert Metern sehen. Allein an der Bewegung der Gruppe kann ich das schon erkennen.

They don’t walk in line?

Weiß nicht. Ich weiß aber, dass das auf jeden Fall enorm provokant wirkt. Irgendwann haben mich dann die Männer aber auch gelangweilt. Das ging zu DAF-Zeiten bei mir innerhalb von einem Jahr, dass ich dann sowohl mit Frauen wie mit Männern Beziehungen hatte. Heute lebe ich strikt hetero, und das, seit ich vierundzwanzig, fünfundzwanzig bin.

Und was sagen Ihre Hormone dazu?

Ja! (lacht) Sex mit Männern, das war mir irgendwann einfach zu ähnlich wie ich, wie das so funktioniert. Da fand ich die Frauen abenteuerlicher, fremder. Das ist lange her, dass mich ein Mann erregt hat, sexuell. Also wirklich sehr, sehr lange. Aber was ich noch sagen wollte: Es ist natürlich auch so, dass Homosexualität ungeheuer ökonomisch ist. Das erklärt auch diese massive Präsenz von Schwulen in Kunst und Kultur.

Sie denken an die Rituale des Werbens, die Partnerakquise?

Ja. Sex mit Männern ist so leicht. Da muss man nicht fackeln, nicht fragen, das ist schnell vorbei. Man kriegt genau das, was man will. Das ist genau so, wie man es sich selbst macht (lacht) quasi. So zu leben, das spart Zeit, Nerven, Dramen, wirklich.

Dann verschwenden Sie aber jetzt schrecklich viel Zeit.

Ja. Aber ich bin Andalusier, ich verschwende gern.

Das ist andalusisch?

Dachte ich. Zumindest ist es nicht deutsch. In Spanien, also in Andalusien, gibt es den Brauch, dass man für gutes Gelingen an Silvester sämtliche Lichter anmacht, alle Wasserhähne in der Wohnung aufdreht und das Wasser stundenlang laufen lässt. Man hat. Dann ist das nächste Jahr nicht arm. Dann fließt (lacht) der ganze Scheiß ab. Das bringt Glück. Das ist natürlich eine Frage der Lebenskonzepte. Anders als hier, wo es heißt, wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. In Andalusien würde man sagen: Wenn du dich bückst für eine kleine Münze, dann wirst du nie richtig großes Geld verdienen.

Nach dieser Logik ist DAF Ihnen offenbar Gold wert. Sie sollen drei Jahre am neuen DAF-Album herumgefrickelt haben.

So kann man das nicht sagen. Wir hatten vor drei Jahren die Idee, etwas zusammen zu machen. Das Album haben wir 2002 in drei Monaten gemacht. Dabei hab ich von vornherein gesagt, wenn wir ins Studio gehen und es kommt nicht DAF dabei heraus, dann nennen wir das bitte auch nicht so. Kann auch sein, dass gar nichts dabei rauskommt.

Sie und Robert hatten sich davor lange Zeit nicht gesehen?

Nur ab und zu telefoniert. Bei DAF kommen wir sehr gut zusammen. Aber sonst haben Robert und ich sehr wenig miteinander zu tun. Es passiert so gut wie nie, dass wir zusammen ausgehen. Wir treffen uns zum Kunstmachen, zum Musikmachen.

Das war früher anders? Sie haben ja zum Teil zusammen gewohnt, wie ein Ehepaar.

Das würde ich so nicht sagen. Ich hatte immer andere Sexpartner als Robert. Das hätte ich anders auch für sehr unklug gehalten (lacht), würde zu viel Arbeit machen.

Gab es da eine Anziehung?

Also von meiner Seite auf jeden Fall. Aber wie gesagt, das war nie so, dass ich mich verliebt hätte. Manchmal hab ich überlegt. Wir haben ja zusammen gewohnt. Da liegt das für mich nahe, ist für mich etwas ganz Natürliches, dass man miteinander schläft, im Prinzip.

Robert sei Ihre große Liebe gewesen, steht bei Jürgen Teipel, in „Verschwende deine Jugend“. Oder war das eine strategische Lüge?

Nein, nein, aber das ist etwas aus dem Zusammenhang gerissen. Robert war meine große musikalische Liebe. Das kommt so anders rüber. Durch Teipels Schnitttechnik kommen sowieso ganz viele Sachen ganz anders rüber.

Mich überraschte, wie sehr dieser Randaleaspekt im Vordergrund steht.

Ja, richtig. Das hört sich so an, als ob sich da jeder jede Woche geprügelt hätte. Aber das war halb so wild. Ganz viele andere Aspekte fehlen, zum Beispiel was das alles bedeutete, speziell für die Infrastruktur, auch businessmäßig für die Musik. Im Prinzip wirkt das nicht viel anders als irgendwelche Halbstarke aus den Fifties mit ihren Motorrollern, die irgendwelche Leute gehauen und in der Eisdiele die Kasse geklaut haben. Ich dachte wirklich: Was ist denn das jetzt hier, diese Halbstarken?!

Da verwundert es, dass Sie auf dem neuen Album in diese modische Verherrlichung von Andreas Baader einstimmen: „Baader ist ein Superstar, tralala.“

Das ist doch keine Verherrlichung! Das Stück geht eindeutig darum, dass Leute wie Bonny and Clyde oder Charles Manson heute Popikonen sind und dass genau das gerade mit der RAF passiert.

Aber das ist doch krank.

Ja, aber ich mache meine Texte nicht so, dass ich das kommentiere. In der Schule damals war es so, dass im Lateinbuch viele subversive Jungs neben BVB, 1. FC Köln und T-Rex halt das RAF-Logo reingemalt haben, mit vierzehn, fünfzehn. Und heute ist die RAF drauf und dran, genau das nächste große Ding der deutschen Popkultur zu werden.

Wie gesagt: total ungesund.

Ich finde, dass das in meinem Text genau so beschrieben wird, wie das werden wird. Frag hundert Leute, die denken bei Bonny und Clyde alle an einen Film, an ein Buch, keiner denkt an die blutigen Überfälle. In zehn Jahren denken die Leute bei RAF auch an … (nickt verständnisinnig). Nicht?

Und Ihr Song befördert diese idiotische Mythisierung.

Man fragt sich ja dann doch, das hab ich mich oft gefragt: Warum werden bestimmte Verbrecher zu Popikonen und andere nicht. Es gibt ja viele Massenmörder. Trotzdem ist Charles Manson auf den T-Shirts und nicht ein anderer.

Im Falle Baaders kann man sagen, dass er daran selbst mitgebastelt hat, indem er etwa das Corporate Design der RAF sehr genau kontrolliert hat.

Darauf wollte ich hinaus. Ich denke schon, dass das potenziell mit Selbstinszenierung zu tun hat. Und insofern sagt der Song nur die Wahrheit. Es ist so: Andreas Baader ist ein Superstar heutzutage. Sie wissen doch, was ein Superstar ist! Das hat genau auch dieses Widerliche.

Aber der populäre Sprachgebrauch ist affirmativ. Und dann Ihre Songzeile: „Verbrechen ist sexy, Verbrechen lohnt sich.“ Wie soll man das verstehen?

Diese ganzen Leute, die Grimaldis, die Flicks, nur die Mächtigen sagen: Verbrechen lohnt sich nicht. Dabei sind das alles Raubritter. Ob man jetzt von Thyssen spricht, vom englischen Königshaus – das beruht alles auf bösester Gewalt, auf übelsten Verbrechen. Den Armen wird aber immer gesagt, Verbrechen lohnt sich nicht. Das stimmt aber gar nicht. Ich kenne Leute, die Verbrecher sind. Die haben noch nie jemand getötet, überfallen halt Banken. So.

Ich hoffe, die werden als Stachelschweine wiedergeboren.

Wenn du in einem anderen Land wohnst, in Südamerika? Da gelten ganz andere Dinge.

Aber mit deutschem Background liest man das als „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“. Dann gehen die Kids raus und hauen drauf.

Ich denke, dass demnächst sogar Verbrechen als Kunstaktionen stattfinden werden, ja? Das ist auch ein allgemeines Phänomen. Filme, Medien – noch nie gab’s eine Zeit, wo die Verbrecher so heldisch abgefeiert wurden. Außerdem muss man fragen, was die soziale Funktion zum Beispiel eines Bankräubers ist, inwieweit die weniger wert ist als die des Bankdirektors. Man muss einen Mörder mal mit einer Mutter vergleichen. Wenn man jetzt ganz brutal argumentiert, kann man sagen, hey, die eine produziert nur die nächste Menschenbrut, die nächsten Soldaten, Henker und Gefangenen. Ich will den Verbrecher nicht kritiklos loben, aber das kann man alles so oder so sehen. Unter sich sagen die Mächtigen: Weißt du noch, wie sich unsere Verbrechen damals gelohnt haben, in Bagdad oder wo auch immer. Aber den anderen sagen sie: Verbrechen lohnt sich nicht.

Im Kunstkontext kann dieses Spiel funktionieren. Aber DAF ist Pop, Gebrauchsmusik. Das ist das Problem.

Das ist das Problem, richtig. Aber bei „Mussolini“ gab’s anfangs auch Leute, die „Sieg Heil“ gemacht haben.

Anfang der Achtziger war DAF Avantgarde. Da war nicht klar, wie dieses neue Ding funktioniert. Insofern gab es naturgemäß Streuverluste, es gab solche und solche Konsumenten. Da war das noch offen. Diejenigen, die es heute hören, glauben, sie wissen, was es ist. Deswegen finde ich es heute gefährlich.

Das wäre die Frage. Ob das überhaupt gefährlich ist. Ich hab ja mal einen Text gemacht, der geht „Macchiavelli war romantisch, Christus war fanatisch“ (lacht). Das haut dann eher hin. Ich hab schon extra „Superstar“ gesagt. Man muss sich vielleicht daran gewöhnen, dass ich überhaupt keine Lust habe, darüber … Filme sind für mich Texte. Ich meine, ein Regisseur, der einen Film über Massenmörder macht, wird nie gefragt: Bist du selber auch in der Massenmörderszene?

Natürlich fragt man den Filmemacher das! Auch da gibt es Gebrauchskino und Autorenfilme. Das ist ganz ähnlich.

Trotzdem wird der Filmregisseur oder der Drehbuchautor viel weniger gefragt. Ich hab mich mit den Leuten unterhalten. Ich bin ganz radikal der Meinung, dass das Werkzeug des Künstlers zweitrangig ist. Klar ist das toll, wenn man anständig Klavier spielen lernt. Aber du kannst dir auch einen Sampler holen. Du musst heute kein einziges Instrument beherrschen. Das ist vielleicht aus Zen-Gründen interessant, zehn, fünfzehn Jahre Klavier zu spielen und da eine Meisterschaft zu erwerben über einen langen Niederwerfungsweg, würde man im Buddhismus sagen. Aber eigentlich ist das ein ganz großer Fehler. Weil: Du verlierst diese fünfzehn Jahre Sexerfahrungen, Drogenerfahrungen, Partys und vieles andere mehr.

Sie meinen Zen wie Bogenschießen?

Genau. Der Zen-Aspekt ist das einzig Interessante daran. Ansonsten ist es eine Quälerei und auch nicht mehr nötig. Ich bin mal im „Tacheles“ aufgetreten, mit Musikern von der Staatsoper. War ganz interessant, eine ziemlich wilde Mischung. Ich hab mit Plattenspieler gearbeitet, die mit Perkussion. „Classic Moves“ nennt sich das. Aber (beugt sich vor, senkt die Stimme): Es sind Spießer. Ich wollte wirklich mit denen zusammenarbeiten, aber die gucken auf die Uhr und sagen: „Oh, Mittagspause!“ Oder: „Oh Scheiße, heute um acht Uhr erst – uuuhhh. Jetzt geh ich aber nach Haus.“

Lieber Spießer als Verbrecher.

(lacht) Es gibt sehr sympathische Verbrecher, wirklich. Wenn du das nächste Mal nach Berlin kommst, besuchen wir einen wirklichen Gangsterkönig, wenn du willst. Ein ganzes Dorf da unten in Spanien lebt von dem. Dreihundert Leute. Die waren früher arm. Jetzt haben die Ärzte und Lehrer. Alles nur durch Verbrechen. Wirklich, eine ganze Sippe, das ganze Dorf lebt davon.

Wo bleibt die Rechtschaffenheit?

Ich glaube, dass Bankräuber keinen großen Schaden anrichten. Ich finde Verbrechen schlimm, die im Namen von Sachen begangen werden, für was auch immer. Verbrecher, die für ihr eigenes Konto arbeiten, ohne dass sie groß die Welt bewegen wollen, finde ich viel vernüftiger (lacht) und viel anständiger. Das sind nämlich Menschen, die einfach nur diesen Job machen. Ja, das sehe ich wirklich so.

Das tut ein ganzes Filmgenre. Der Auftragskiller mit Depressionen und Liebeskummer. Das ist pervers.

Also, was ich wirklich schlimm finde, ist die existenzielle Abhängigkeit von ganz konkreten Personen, gerade auch als Künstler. Ich denke, wenn ich Musik mache oder texte, nicht wie ein Maler an meinen Galeristen oder den reichen Sammler Hans-Jürgen. Ich denke an eine anonyme Masse, bringe das Angebot da hin. Und der, der sich dafür interessiert, der zahlt mir dann wenig Geld. Ich bin nicht abhängig von einem oder zwei Menschen. Ich bin abhängig von fünfzigtausend Menschen. Das finde ich schon sehr gesund, wenn man speziell in der Kunst von vielen kleinen Einheiten lebt und dadurch das Existenzrisiko streut.

Ein Maler kann sich schlecht auf eine Bühne stellen, sein Bild hochhalten – und jeder zahlt ihm einen Euro.

Richtig, das geht nicht. So nicht. Ich hab früher übrigens auch Sales-Ausstellungen für Kunst organisiert und als einer der ersten Mietkunst etabliert. Aber meine lustigste Kunstaktion war eine Börse im Hotel „Esplanade“, so ein ganz poshes Ding am Reichpietschufer. Da konnte man innerhalb von vierundzwanzig Stunden Werke von Künstlern kaufen und verkaufen. Ich wollte diesen Zynismus ausdrücken, der Galerien, von diesem ganzen Kunstbetrieb: „Kunst als Wertanlage“. Das ist inzwischen ja besser geworden. Aber in den Eighties, in den Koks- und Börsenzeiten, war das ganz schlimm. Ich kannte Prolos, die sind losgegangen und haben sich die Sachen geholt. Einfach weil der Anlageberater gesagt hat, das ist das Beste, was du machen kannst. Um das zu parodieren, haben wir diese Twenty-four-Hour-Aktion aufgezogen.

Eine Kunstaktion?

Ja, das war eine Kunstaktion, aber wie eine Börse aufgezogen. Das lief auch wirklich sehr, sehr gut. Ich bin ja kein Galerist oder Agent. Das waren alles Freunde, fünf Künstler, die ich kannte. NFF ist mein Prinzip: Nur Für Freunde. Erst mal haben wir einen Trendletter veröffentlicht. Damit wurden hundertfünfzig Leute vorab informiert und auf diese Aktion hingewiesen. Dann hatte jeder – wir haben das exklusiv aufgezogen – das Recht, noch weitere drei Mitspieler einzuladen. So haben am Schluss dreihundertachtzig Leute mitgespielt.

Waren die real anwesend?

Die Berliner waren teilweise da, ein paar Künstler auch. Es waren so dreißig, vierzig Leute im „Esplanade“. Der Rest lief über Telefon. Da haben auch viele mitgemacht, die mit Kunst gar nichts zu tun haben. Die haben nur am Morgen ein Bild kaufen wollen und am Abend dann für achtmal so teuer wieder verkaufen.

Und das hat funktioniert?

(Lacht) Das hat funktioniert. Bei so wenigen Leuten reicht ja ein weiterer Kauf, um sämtliche Bilder dieses einen Künstlers sofort in die Höhe zu treiben. Ein paar Leute sind nachher auf den Bildern sitzen geblieben (lacht). Das war die Kunst. Die Börse war ja nach vierundzwanzig Stunden zu, und die gab’s auch nie wieder (guckt auf die Uhr, lächelt). Und ich muss gehen, weißt du das?

NIKE BREYER, geboren 1955, lebt als freie Autorin in Marburg. Ihr aktuelles Forschungsthema: der wieder entdeckte Distinktionsgewinn durch „gute Manieren“