Ein Sommertagtraum

17. Preis unseres Schreibwettbewerbs Strandgeschichten von RALF JOHANNWERNER

Gleicht nicht ein Strandbesuch einem Gang durch eine Spielzeugabteilung? Träume, Hoffnungen, Erfüllung, Kinderkram. Wenn es ums andere Geschlecht geht, wird der Mensch nie erwachsen. Da liegen die Paare, Singles, aufgeschlagene Managementmagazine, giftgrüne Softdrinks, es riecht nach Sonnencreme und Wasser, Kinderstimmen. Vorm Badezimmerspiegel studierst du deine Mimik. Sein und Schein: Setzt du ein Lächeln auf? Bist du cool? Spielst du den in sich gekehrten, schaust haarscharf vorbei und sondierst im Blickwinkel?

Nun ja, die Gesichter der Menschen sind keine Badezimmerspiegel. Wirst du heute allein sein? TV, Lesen, Masturbieren, Flirten in der Chat-Suite, Freunde treffen, Leben live mit voll sensorischem Zugriff eine Kulisse tut auf sich vor dir: Optionen, Alternativen, Chancen.

Ein Ballflug wie in Zeitlupe. Spielst du mit uns? Was für eine Frage! Ich raffe mich auf. Mein Gott, was für ein Arsch, denkt mein Hirn. Wie sie heißt, frage ich. Anja, sagt sie. Und du? Harry, denke ich, oder vielleicht Fred? Ralph, sage ich. Zu hübsch für mich, so meine vorläufige Trendprognose. Fass nix an, höre ich eine Stimme in mir. Nein, ich spiel doch nur mit den Mädels. Und komm nicht wieder wie ein Schwein nach Haus. Jaja. Erwachsene Männer hatten wohl Mütter, die den Mann im Kind verstanden, was dazu führt, dass solche Männer das Kind in sich bewahren und keine dressierten Zombies werden. Lassen wir die Psycholeier. Das Strandvergnügen im Zeitraffer: Hechtsprünge in den Sand, urgesundes Herzklopfen, Lachen, ich höre endlich wieder mein Organ.

Eine Strandbude. Wir trinken eiskaltes Heineken. Die Anja krieg ich nicht. Warum hier auch die Statistiken fälschen! Aber da gibt es noch eine andere. Nennen wir sie Gea. Zu gütig, das Schicksal. Quarzsand warm wie Rheumalinddecken. Sand zwischen unseren Zähnen, ungewohnt gut. Salzig ihre Lippen. Grashalme spalten das Licht. Ich streichele ihren Po. Schreiende Möwen auf blauem Grund wie Drachensteigen. Unten der FKK-Strand. FKK klingt wie Kernseife und geruchsfreie Genitalzone. Ein Biotop für ältere Semester, die auch nackt durch die Fußgängerzone schlendern können, ohne dass Security eingreift. Man ignoriert sie.

Der Strand ist leer. Unglaublich. Ein Strand mitten in Nordeuropa, idyllisch, warm, nah, preiswert, gefahrlos, keine Alligatoren, keine Gangster und keine Touristen! Gea erzählt von ihrer gescheiterten Ehe, vom Alleinsein in der Stadt, von Internetbekanntschaften und lausigen Dates. Erstaunlich, so eine hübsche Frau. Es dämmert. Ein Leuchtturm tastet die Umgebung ab. Allein sein inmitten von Menschen, das Gefühl nicht dazuzugehören, verpasste Chancen an der Käsetheke, ich kenne das. Kultiviere deine Andersartigkeit, sagt sie.

Kultivieren? Was denkst du, fragt Gea. Früher machte mich dieser Typ Frage verlegen. Ich sage was vom Gang der Dinge. Wir kennen uns jetzt einen halben Tag, und ich Idiot beginne Pläne zu schmieden. Vielleicht sollte ich Managementmagazine lesen: Portfolioplanung für Ferienbekanntschaften.

Wir schlafen miteinander in dieser Nacht, Himmel und Erde, Uranos trifft Gaia, die Mondsichel amüsiert uns: Kronos entmannte seinen Vater Uranos mit einer Sichel. Sieben Tage geht das so, wir spielen Volleyball und lachen mit den andern. Seltsam, der Hang sich zurückzuziehen, man beklagt die Einsamkeit, aber sucht die Zweisamkeit, Beuteteilen abseits der andern. Picknick in den Dünen: Buttermilch und Honigkuchen unser letztes Abendmahl, sagt Gea. Fünfundvierzig Minuten müssen wir gehen, fünfundvierzig hin, fünfundvierzig zurück 90 Minuten Road-Movie. Ein Seestück.

Zurück in Deutschland treffen wir uns noch ein paar Mal. Dann endet auch das. Sie hat einen neuen Freund. Es wurde kompliziert. Draußen hupt es. Zwei Jahre liegt das nun zurück. Es ist heiß. Ein gigantischer Sommer. Das Notebook surrt. Ich bin arbeitslos. Eine Art Arrest. Draußen Parkplatzrangeleien, Proben sozialer Kompetenz, aufheulende Motoren, Autos, Spielzeug: Fährst du oder träumst du?

Fotohinweis: RALF JOHANNWERNER, geb. 1958, lebt in Frankfurt am Main. 2 Kinder, Jurastudium, Marketing- und Texterausbildung, Vertriebslaufbahn, Rezeptionist. Texter (klassische Werbung, Neue Medien), Autor einer Avatar-Studie, literarische Arbeiten (unveröffentlicht)