Der zauberhafte Superheld

Die einen vergöttern Harry Potter. Die anderen verteufeln ihn. In Wirklichkeit kann einem dieser Hype gestohlen bleiben. Dafür bekommt man eine zauberhafte Heldengeschichte

von JENNI ZYLKA

Lumos.

Harry-Potter-Witze gibt es noch nicht. Jedenfalls findet sich keine offizielle Website. Dabei könnte man sich eine Menge vorstellen: Trifft Harry die kleine Hexe. Sagt die kleine Hexe: Oh Harry, du hast so viel für unseren Berufsstand getan! Sagt Harry: Quatsch nicht, räum lieber die Küche auf.

Um Humor, Ironie oder gar Sarkasmus ging es bei Potter nie. Zwar gibt es immer wieder komische Situationen in seinem Leben: Es passieren Missgeschicke wie falsche Zaubersprüche oder ein Gimmick funktioniert nicht. Im neuen Band, „Harry Potter und der Orden des Phönix“, der ab heute in Deutschland verkauft wird, haben die Brüder von Harrys Freund Ron einige Probleme mit ausfahrbaren Lausch-Ohren, die man wie Jojos in die abzuhörende Gegend hängt.

Doch Sarkasmus ist im Kinderland nicht zu finden und Humor nur in der praktischen Form. Eigentlich ist Harrys Geschichte die eines einsamen Jungen, der Superkräfte entwickelt und damit Abenteuer besteht. Jugendliche LeserInnen lieben solche Geschichten. Wer ist Pippi Langstrumpf? Eine einsame Halbwaise, die so (zauberhaft) stark ist, dass sie ein Pferd hochheben kann. Wer ist Wickie? Ein Kind mit Super-Brain-Power. Und wer ist Old Shatterhand? Ein einsamer Deutscher im Wilden Westen, der so stark ist, dass er andere mit einem Faustschlag niederschmettert.

Das Motiv der supernaturalen Kräfte ist wichtig für Potters Popularität. Wichtig sind natürlich auch die Sperenzchen drum herum, die sprechenden Bilder, das Besenreiten, all die Besonderheiten der Zauberwelt. Aber ein klassischer Kinderheld muss eine Genese vom machtlosen zum machtvollen Menschen durchleben.

Das war bei Batman (dem einsamen Waisen, der sich mit seinem Geld Superkräfte kaufte), bei Spiderman (dem Jungen, dem seine Superkräfte durch ein Labor-Missgeschick übertragen wurden) und natürlich beim realistischsten aller Superhelden, dem Superagenten James Bond (dessen Superkräfte ihm etwa in Form von unglaublichen Autos zukommen) nicht anders.

Immer gibt es für solch einen Helden die zwei Welten, die für Potter einerseits die Muggel-Umgebung und andererseits das Zauberland sind. Immer ist er in einer der Welten undercover und in der anderen ein Star.

Insofern hat Potters Schöpferin Joanne K. Rowling, der zusätzlich zu ihrer fantasievollen Erfindung auch noch der Geniestreich glückte, ihre millionenfachen KäuferInnen durch eine sich den LeserInnen altersmäßig anpassende Serie beim Stab zu halten, den Jackpot geknackt: Zwar haben sich Astrid Lindgren-Bücher bis heute um die 120 Millionen Mal verkauft, aber Potter hat die Grenzen in kürzerer Zeit gesprengt.

Daraus resultieren auch die unvermeidlichen bösen Gegenstimmen. Neider sind die meisten, logisch – auch einer sympathischen ehemaligen Arbeitslosen gönnt man ihren Reichtum irgendwann nicht mehr, und die Tatsache, dass Frau Rowling für die neue Folge pro geschriebenem Wort durchschnittlich 566 Euro einstreicht, lässt nicht nur JournalistInnen, die pro Zeile 67 Cent einstreichen, schlucken.

Gestrige sind die anderen, Bildungssäcke, die sich schlichtweg nicht vorstellen können, dass das Kinderland, das jahrelang relativ unbeeindruckt scheußliche Moden wie Pokémons und Diddlmäuse überstand und das mit wohlgelittenen Figuren wie Pippi, den Fünf Freunden und Hui Buh ohnehin schon dicht bevölkert ist, Platz für einen neuen, so großen und strahlenden Helden hat. Gemeinsam haben die Potter-Mäkler, dass sie gehört werden möchten – ob sie ihn nun aus pseudo-religiösen Gründen oder angeblich verletzter Political Correctness ablehnen. Wer über Harry Potter spricht, wer ihn abkupfert oder stiehlt, auf den guckt die Welt, jedenfalls kurz.

Doch der Hype, den es zu Zeiten Pippis noch nicht in dieser Form gab, kann einem ganz gestohlen bleiben. Auch wenn klugscheißerische UmhangträgerInnen der Presse um Mitternacht in Buchgeschäften ihre Statements geben: Die meisten LeserInnen sind neugierige, brave Kinder. Potter und Rowling haben sie kurzzeitig in Leseratten verwandelt. Mit einem der schönsten aller Zaubersprüche.

Nox.