Massenproteste nach Wahlchaos in Georgien

Tausende fordern den Rücktritt von Präsident Eduard Schewardnadse. Offizielles Wahlergebnis steht noch aus

BERLIN taz ■ In den Straßen der georgischen Hauptstadt Tbilissi reißen seit Dienstag die Demonstrationen nicht ab, auf denen Bürger den Rücktritt von Präsident Eduard Schewardnadse fordern. Dessen Regierung hat nämlich bis heute nicht das Ergebnis der chaotisch verlaufenen Parlamentswahlen vom vergangenen Sonntag feststellen können. Die Demonstranten gehen deshalb davon aus, dass die als vorläufig verkündeten Resultate zugunsten von Schewardnadses Block „Für ein neues Georgien“ gefälscht wurden.

Ausländische Beobachter stellten schon während der Wahl schwere Verstöße fest. So verschliefen an einigen Orten die Wahlkommissionen die Öffnung der Wahllokale, die blieben zum Ausgleich dann bis in die Nacht hinein offen. Zehntausende von BürgerInnen fanden ihre Namen in den Wählerlisten nicht wieder, dafür endeckten einige darin längst verblichene Verwandte.

Zum ersten Male erreichte die Stimmung in Tbilissi am Dienstagabend den Siedepunkt. 10.000 Menschen gingen auf die Straße, als klar wurde, dass sich bei der verzögerten Auszählung der Stimmen aus den von ethnischen Minderheiten dominierten Randgebieten des Landes das Verhältnis immer mehr zugunsten von Schewardnadses Block verschob. Sogar die sonst präsidentenfreundliche US-Botschaft in Tbilissi erklärte: „Fehlmanagement und Betrug bei den Parlamentswahlen am 2. November haben viele georgische Bürger ihres verfassungsmäßigen Rechtes beraubt: zu wählen.“

Dabei wiesen die Mitte der Woche publizierten Ergebnisse von 70 Prozent der Wahlbezirke den präsidialen Block „Für ein neues Georgien“ mit 23,7 Prozent der Stimmen zwar als stärkste, nicht aber mehrheitsfähige Gruppe aus. Kopf an Kopf Zweite wurde die „Auferstehungs-Partei“ des adjarischen Regionalherrschers Aslan Abschidse, der auf seinem eigenen Territorium 95 Prozent der Stimmen einheimste. Erst knapp danach kam die „Nationale Bewegung“ der Politiker Michail Saakaschwili und Surab Schwania, welche bei Meinungsumfragen an erster Stelle gestanden hatte. Das Spektrum der zersplitterten Opposition wird durch drei Parteien abgerundet, die mit 7 bis 10 Prozent der Stimmen in Koalitionen noch eine Rolle spielen könnten.

Durch die plumpen Wahlmanipulationen ist eine tiefe Kluft zwischen Schewardnadse und der „Nationalen Bewegung“ entstanden, die sich bisher fast nur durch die Generation ihrer Politiker von der Regierungspartei unterschieden hatte. Georgiens Präsident muss im Frühjahr sein Amt abgeben und erblickte zeitweilig einen möglichen Nachfolger in dem einstigen Grünen-Führer, Schwania. Auf der Mittwochsdemo rief nun dessen Mitstreiter, Michail Saakaschwili: „Ich möchte den Präsidenten darüber informieren, dass er niemanden auf seiner Seite hat. […] Das Volk ist hier und zeigt, dass es uns unterstützt. Und wer ist dort drüben? Der Präsident mit 400 Hunden.“ Saakaschwili kündigte neue Massenproteste für das Wochenende an und drohte, Schewardnadse wegen „Verbrechen gegen das Volk“ zu verklagen, falls dieser nicht zurückträte. BARBARA KERNECK

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