Zankapfel Spekulation

Für die Bundesregierung ist klar: Spekulanten sind Schuld am hohen Ölpreis. Anfang des Monats hatte Bundeskanzler Schröder ihnen den Kampf angesagt und mehr Transparenz auf den Ölmärkten gefordert. Bundesfinanzminister Hans Eichel unterstützte dies und rechnete vor, dass der Ölpreis ohne die Spekulation um rund 25 Prozent niedriger läge. Manche Experten gehen sogar von einem Anteil von bis zu 60 Prozent aus. Die Regierungen der anderen führenden Industriestaaten sahen das ebenso und forderten Anfang Oktober auf dem G7-Gipfel in Washington ebenfalls eine strengere Kontrolle des Geschehens an den Ölbörsen. Doch in dieser Analyse steckt ein gehöriges Maß an Populismus. Denn sie gründet auf der Annahme, Spekulation sei grundsätzlich verwerflich. Letztlich spekuliert aber auch der Hausbesitzer, wenn er im Sommer seinen Heizöltank füllt, weil er weiter steigende Preise erwartet. Und wer statt der Autobahn eine Ausweichroute über Land benutzt, spekuliert ebenfalls: nämlich auf volle Autobahnen. Und weil er sich nicht auch noch in den Stau stellt, nutzt er allen Verkehrsteilnehmern.

So ähnlich agieren auch Händler und Broker, die oft das Geld von Fonds an den Börsen und am Spotmarkt in Rotterdam einsetzen. Vorausschauende Vorratshaltung von Firmen, die in so genannten Termingeschäften heute festlegen, zu welchem Preis sie das Öl in den kommenden Monaten einkaufen werden, sorgt dort ebenso für steigende Preise wie die rein auf den Spekulationsgewinn angelegte Aktivität am Ölmarkt.

Bei Letzterem stehen Psychologie und Erwartungshaltungen der Ölhändler im Mittelpunkt, die sich auch gegenseitig aufschaukeln können. Ein Ölhändler, der mittelfristig mit fallenden Preisen rechnet, kann plötzlich mitgezogen werden, wenn andere Händler große Mengen einkaufen. Denn das sorgt für weniger Öl auf dem Markt und treibt die Preise nach oben, ohne dass irgendwo in der Welt eine Pipeline oder Förderanlage ausgefallen ist.

Wie hoch der Anteil dieser „reinen Spekulation“ tatsächlich ist, ist schwer zu beziffern, sagt Friedemann Müller, Experte für Weltenergiepolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. „Ich würde ihn auf höchstens 10 Prozent schätzen“, sagte Müller im taz-Gespräch. Nach seiner Einschätzung lässt sich der Ölpreis durch reine Spekulation auch nicht endlos in die Höhe treiben, denn auch der Spekulant sitzt irgendwann auf einer Menge Öl, das er wieder in den Markt bringen muss.

Dennoch ist die politische Initiative der G7-Staaten nicht unberechtigt. Denn tatsächlich gelten die Ölmärkte als wenig transparent. Eine strenge Börsenaufsicht wie in Frankfurt oder New York, die Insiderhandel und ungewöhnliche Kursbewegungen untersucht, existiert nicht. Für mehr Kontrolle sollte eigentlich die Internationale Energieagentur sorgen. Doch sie ist in den letzten zwei Jahren offenbar nicht weit gekommen. Der „politische Push“ könnte für mehr Druck sorgen. Zu konkreten Kontrollinstrumenten ist es aber noch ein weiter Weg.

STEPHAN KOSCH