Jeder Norweger ist längst Ölmillionär

Das Prinzip Sparstrumpf: Der norwegische Staat war klug und hat vor Jahren einen Teil seines Ölvermögens auf die hohe Kante gelegt

STOCKHOLM taz ■ Viereinhalb Millionen NorwegerInnen sind auf dem Weg, Ölmillionäre zu werden. Jeder einzelne. Legt man den gegenwärtigen Marktpreis für Nordseeöl von gut 50 Dollar zugrunde, sind sie es sogar bereits. Das hat ihnen gerade ihr Finanzministerium vorgerechnet.

Landesweiten Jubel freilich löst die gute Nachricht nicht aus. Denn für Ole Nordman ist dieser Reichtum ähnlich abstrakt wie für Monika Mustermann ihr Pro-Kopf-Anteil an der deutschen Staatsverschuldung. Und Millionär ist Nordman auch nur in der heimischen Kronenwährung. Doch immerhin: 25.000 Euro liegen im nationalen Ölfonds mittlerweile pro Norwegerin und Norweger schon auf der hohen Kante – angelegt in ausländischen Wertpapieren. Insgesamt ein Reichtum von fast 120 Milliarden Euro.

Ein Sparstrumpf, gefüllt mit dem Anteil an den Staatseinnahmen, der in den letzten zehn Jahren nicht verbraucht werden konnte. Hinzu kommt das Öl, das man bereits gefunden hat und darauf wartet, gefördert zu werden. Davon sollen in den nächsten Jahren 400 Milliarden Euro in der Staatskasse hängen bleiben. Das wären dann weitere 85.000 Euro pro EinwohnerIn. Wobei Grundlage dieser Kalkulation ein Ölpreisniveau von lediglich 25 Dollar pro Barrel ist. Nicht über wachsende Staatsschulden muss sich der norwegische Finanzminister also den Kopf zerbrechen, sondern darüber, wo Überschüsse am besten anzulegen wären.

Als vor dreißig Jahren das Zeitalter des Nordseeöls anbrach, sicherte sich Oslo einen großen Teil der Einkünfte: Mit 78 Prozent wird der zähe Saft besteuert, den die internationalen Ölmultis aus dem Meeresboden pumpen. Bei den nationalen Ölgesellschaften – bei Statoil etwa sind 77 Prozent der Aktien im Staatsbesitz – sahnt der Fiskus gleich doppelt ab. Und langt dann gleich nochmal zu. Denn in Norwegen ist Sprit so teuer wie nirgends sonst: 1,27 Euro kostet derzeit der Liter Benzin.

Doch Norwegen – der weltweit drittgrößte Ölexporteur hinter Saudi-Arabien und Russland – ist nur statistisch ein Ölkrösus. Zwar verdienen die meisten NorwegerInnen gut, doch zugleich wird die Brieftasche auch schnell wieder leer: Oslo etwa ist eine der teuersten Hauptstädte der Welt. In der Innenstadt sitzen nicht weniger BettlerInnen als in einer vergleichbaren europäischen Stadt, und Luxusautos sieht man seltener als in Stockholm oder Hamburg. Zudem haben die meisten mit der Branche, auf der sich der gegenwärtige Reichtum des Landes gründet, nichts zu tun. Gerade einmal 1,2 Prozent der norwegischen Arbeitnehmer arbeiten in dem Sektor, der für die Hälfte des gesamten Exports steht.

Die wichtigsten Investitionen sind längst gemacht. Zwar werden auch jetzt noch Ölfelder erschlossen, doch seit Jahren stagniert die Förderung auf einem Niveau von drei Millionen Barrel pro Tag und dürfte in Zukunft eher sinken. Es war also klug, dass man sich Anfang der Neunzigerjahre entschloss, einen Teil des Ölvermögens auf die hohe Kante zu legen. In der damaligen Debatte um den „Ölfonds“ mussten gar die spanischen und portugiesischen Eroberer und deren Goldfieber als Beispiel dafür herhalten, wie ein Zuviel an Reichtum eine Volkswirtschaft zerstören könne. Mittlerweile wird das Prinzip Sparstrumpf für spätere öllose Generationen kaum noch in Frage gestellt. Und natürlich ist es bequem, die Debatte über eine Rentenreform abzukürzen, indem man bei der Finanzierungsbasis einfach den zugrunde gelegten Ölpreis von 20 auf 25 Dollar abändert. Womit die Rechnung wieder für einige Jahrzehnte aufgeht. Der vermeintlich vernünftigste Weg, mehr Öl in der Erde zu lassen und den Reichtum dadurch zeitlich zu strecken, hatte politisch nie eine reelle Chance. REINHARD WOLFF