Ein Gericht erklärt den USA das Völkerrecht

Zur „Selbstverteidigung“ haben die USA drei iranische Ölplattformen versenkt. Warum war das unzulässig?

Die Selbstherrlichkeit der USA, nach eigenem Gusto vermeintliche Schurkenstaaten anzugreifen, hat den Amerikanern nun einen Verweis eingetragen: Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag hat das Gewaltverbot der UN-Charta bekräftigt. Die USA hatten in den Jahren 1987 und 1988 drei iranische Bohrinseln angegriffen. Dafür hat der Iran zwar nicht den gewünschten Schadenersatz bekommen. Doch das ist am IGH-Urteil von Donnerstagabend zweitrangig. Entscheidend ist, dass sich das UN-Gericht nicht scheute, die USA eindeutig darauf hinzuweisen, dass ihre Angriffe gegen die UN-Charta verstoßen haben. Damit wurden die USA bereits zum zweiten Mal vom IGH als Aggressor benannt: 1986 wurde die US-Verminung von Häfen in Nicaragua verurteilt.

Die USA bezeichneten ihre Angriffe als Selbstverteidigung und beriefen sich dabei auf nationale Sicherheitsinteressen. Im Tankerkrieg zwischen dem Irak und dem Iran behinderten beide Seiten die Öltransporte, von denen die Industriestaaten abhängig sind. Die formal neutralen USA beschuldigten aber vor allem den Iran, der nach der islamischen Revolution von 1979 als gefährlicher galt.

Anlass für die US-Strafaktionen waren zwei Vorfälle. Im Oktober 1987 traf eine Rakete im Hafen von Kuwait den kuwaitischen Tanker „Sea Isle City“, der unter dem Schutz der US-Flagge fuhr. Außerdem wurde das US-Kriegsschiff „Samuel B. Roberts“ im April 1988 in internationalen Gewässern in der Nähe von Bahrain von einer Mine beschädigt. Draufhin sprengten die USA jeweils iranische Bohrinseln.

Der IGH hat nun klargestellt, dass dies in fast jeder Hinsicht gegen das Völkerrecht verstieß. Im Fall der Rakete auf die „Sea Isle City“ war unklar, ob diese überhaupt vom Iran abgefeuert wurde. Außerdem liege kein „bewaffneter Angriff“ auf die USA vor, so die Richter, wenn eine Rakete aus rund hundert Kilometer Entfernung abgefeuert wird und dabei wohl eher zufällig ein Schiff mit US-Flagge trifft.

Ganz ähnlich argumentierten die Richter beim zweiten Vorfall. Hier lag es zwar nahe, dass die Mine, die das US-Schlachtschiff traf, vom Iran gelegt war, doch konnte die US-Regierung dies nicht beweisen. Jedenfalls, so die Richter, habe auch dieser eher zufällige Minentreffer die Schwelle zum „bewaffneten Angriff“ auf die USA nicht überschritten. Und selbst wenn Selbstverteidigung gerechtfertigt gewesen wäre, so der IGH weiter, hätten nicht die Bohrinseln Nasr und Salman angegriffen werden dürfen. Denn dort war kein Militär stationiert. Außerdem wäre die Versenkung einer Ölplattform eine unverhältnismäßige Reaktion gewesen, da das US-Schiff nur beschädigt und dabei niemand getötet wurde.

Wie sehr die USA eine Einzelmeinung vertreten, zeigt das Abstimmungsergebnis in Den Haag: Die Entscheidung fiel mit 14 zu 2 Richterstimmen. Die Gegenstimmen forderten eine noch deutlichere Verurteilung der USA. CHRISTIAN RATH