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Archiv-Artikel

KOIZUMIS WIEDERWAHL VERHINDERT IN JAPAN NOTWENDIGE REFORMEN Weniger Pazifismus, mehr Nationalismus

Zuerst die guten Nachrichten aus Japan: Der noch vor wenigen Wochen erwartete Durchmarsch der Liberaldemokratischen Partei (LDP) bei den Parlamentswahlen hat nicht stattgefunden. Die ewige Regierungspartei des Inselreichs hat im Tokioter Unterhaus eine Reihe ihrer Sitze eigenbüßt. Bedenkt man, dass die LDP ihr weniger als begeisterndes Wahlergebnis mit einem der populärsten Spitzenkandidaten einfuhr, den die Partei in den über 47 Jahren ihrer Herrschaft je aufbieten konnte, ist sogar ein Hauch von „fin de règne“ in Japan spürbar. Denn was wird aus der LDP ohne Junichiro Koizumi?

Gewöhnlich wählt die Partei ihren Vorsitzenden nur für zwei Jahre. Dass Koizumi im September nach zwei Jahren Amtszeit für weitere zwei Jahre als LDP-Chef bestätigt wurde, darf nun rückblickend als Eingeständnis der Partei gewertet werden, dass sie Wahlen nicht mehr wie früher ohne Rücksicht auf einen populären Spitzenkandidaten gewinnen kann. Populäre Politiker aber waren in der Bauern- und Bürokratenpartei immer Mangelware, Koizumi gilt bis heute als LDP-Außenseiter. Die aus den Wahlen deutlich gestärkt hervorgegangene Opposition wird also ab sofort den Wahltag herbeisehnen, an dem sie gegen eine LDP ohne Koizumi antreten kann. Insofern ist der lang ersehnte Moment des ersten nachhaltigen Regierungswechsels der Nachkriegszeit in Japan (1993/94 wechselte die Regierung nur für elf Monate) am Sonntag vielleicht ein kleines Stück näher gerückt.

Doch nun die schlechten Nachrichten: Trotz Rekordarbeitslosigkeit, einer seit zehn Jahen nicht überwundenen Wirtschaftskrise und einer ungewöhnlich geschlossen auftretenen Opposition hat die LDP mit ihren Hilfstruppen erneut ein vierjähriges Regierungsmandat gewonnen. Daher wird Japan auch weiterhin vergeblich auf notwendige Wirtschaftsreformen warten. Hier ist die LDP notorisch zerstritten, und jeder Reformansatz Koizumis scheitert bisher an der Klientelpolitik seiner Abgeordneten. Daran wird sich auch nach der Wahl nichts ändern.

Umso dramatischer aber könnten die Folgen für Japans per Verfassung pazifistisch angelegte Außenpolitik sein. Denn den fehlenden Reformkonsens in der Wirtschaftspolitik will die Partei durch große Manöver in der Außenpolitik kompensieren. Zunächst steht der Einsatz japanischer Soldaten im Irak bevor. Darüber hinaus ist die Abschaffung des berühmten Artikel 9 der Verfassung in Sicht, der Japan jegliche Kriegsführung im Ausland verbietet. Hier wird die Welt das Japan Koizumis erst noch kennen lernen: Denn weniger Pazifismus bedeutet unter der LDP nicht mehr Internationalismus, sondern mehr Nationalismus. GEORG BLUME