Einen Rotwein, bitte

Tom ist Biertrinker. Seine Stammkneipe ist ein Laden, in dem man sich kennt. Junges bis mittelaltes Volk, das in der Gegend wohnt und über Studium, Job oder Fußball debattiert. Dass Tom immer Bier trinkt, wissen alle.

Aber eines Abends war das anders: Tom bestellte sich einen Rotwein. Alle haben gegrinst. Alles klar! Der hat ein Date und will Eindruck machen. Tom war es unerklärlich, dass alle gleich Bescheid wussten. Aber welchen Grund sollte ein Biertrinker sonst haben, einen Wein zu bestellen, wenn nicht den, eine Frau beeindrucken zu wollen?

Die Deutungshoheit über Wein haben zwar Männer – Winzer, Kritiker und weltgewandte Gourmets, doch im Konsum sind sie in der Minderheit. Den bloßen Weingenuss überlässt die Mehrheit der Männer den Frauen. Und zwar aus Angst vor Typen, die mit besserwisserischen Bildungsbürgerattitüden den Ton im hoheitlichen Diskurs angeben. Vorträge über Traubensorten, Böden und den daraus resultierenden Säuregehalt samt Abgang: Wie auch schon die Pisa-Studie zeigte, geht es bei deutscher Bildungskultur nicht um den Spaß am Lernen und Ausprobieren, sondern ums Besserwissen. Kannst du nicht mitreden? Pech gehabt.

Männer, die lange Lehrjahre in der befremdlichen Kultur scheuen, aber auch nicht als ahnungslose Trottel ertappt werden wollen, suchen sich andere Wege: etwa den zum Bier. Das Angebot ist klar strukturiert, und über Böden oder Abgänge muss man sich keine Gedanken machen. Bei Hopfen und Malz erscheint die Welt noch wesentlich überschaubarer. Alles wäre so einfach – gäbe es da nicht noch die Damenwelt.

Denn Frauen trinken meist lieber Wein als Bier – unabhängig von der Sozialisation. Das bestätigte eine unrepräsentative Umfrage im weiblichen Bekanntenkreis. Vor allem in Frauenrunden wird demnach fast ausschließlich Wein getrunken. Vielleicht haben sie einfach keine Angst vor überschlauen Weinkennern. Oder nehmen sie deren differenzierte Analysen und Interpretationen noch nicht einmal wahr? Das „Ich verkünde die Wahrheit“-Ritual ist schließlich bis heute noch weitgehend Männersache.

Aber was tun nun Männer, wenn ein Rendezvous mit einer Unbekannten ansteht? Das Bier kommt vielleicht doch zu prollig rüber. Außerdem ist es so nun nicht: Man hat ja schließlich auch Bildung und Kultur. Also lieber mal einen Wein bestellen. Kann zumindest nicht schaden. Romantisches Happyend nicht ausgeschlossen: Wenn aus dem Rendezvous etwas wird, kann aus dem verliebt motivierten Weinbehelf sogar noch ein Genuss werden – verbunden mit schönen Erinnerungen, wie alles begann.

Übrigens: Toms Traumfrau kam in die Kneipe – und hat sich ein großes, kühles Pils geordert. LARS KLAASSEN