Der Geist des Weinguts

Theresa Breuer, Tochter des umtriebigen Riesling-Erneuerers Bernhard Breuer, tritt ein schweres Erbe an. Unverzagt

VON STUART PIGOTT

Ein später Nachmittag. Ich schaue neugierig auf eine zwanzigjährige Frau mit mittellangen dunklen Haaren. Sie heißt Theresa Breuer, trägt eine Schlaghose und ein kurzes Top. Damit sieht sie aus wie unzählige andere Frauen ihres Alters – und steht zugleich in radikalem Kontrast zum Ritterburg-Retrolook des Weinverkostungszimmers im ersten Obergeschoss der Geisenheimer Straße 9 in Rüdesheim am Rhein.

„Die sind aber doch so lecker!“, schießt es mit freudiger Vehemenz aus ihrem Mund, als ihr silberhaariger Onkel Heinrich fragt, ob wir vor den 2003er Rieslingen nicht auch noch den 2002er Spätburgunder Rotwein verkosten sollen. Die Frage war eigentlich an mich gerichtet, aber es erleichtert mich, dass Theresa Breuer gleich zu Beginn einen so lebhaften und positiven Ton in den Raum bringt. Denn auf unserer Runde liegt ein schwerer Schatten: Breuers Vater ist erst vor wenigen Monaten mit 57 Jahren verstorben. Bernhard Breuer, Kopf und Geist des Weinguts Georg Breuer. Alle hier im Raum kannten und schätzten den Winzer seit Jahrzehnten.

Die Lücke, die der Tod des Winzers gerissen hat, das ist allen Anwesenden klar, wird schwer zu füllen sein. Nicht nur hat Bernhard Breuer im eigenen Betrieb dem trockenen deutschen Riesling eine überraschende neue Facette verliehen, er hat den Terroir-Gedanken im eigenen Land enorm gefördert und weiterentwickelt – der zur Maxime hat, dass ein Wein Ausdruck des Weinbergs sein kann und sein sollte, in dem er gewachsen ist. Als Bernhard Breuer die gesetzliche Umsetzung dieses Konzepts im Rheingau in Form der neuen Weinkategorie „Erstes Gewächs“ als faulen politischen Kompromiss ablehnte, war das Ausdruck einer seiner großen Stärken: Treue zu seinen grundlegenden Prinzipien.

Neben dem Weingut im Rheingau hat er, unterstützt von seinem besten Freund, Bernd Philippi vom Weingut Koehler-Ruprecht in Kallstadt/Pfalz, den Weinbau auf der Insel Madeira auf Vordermann gebracht, das südafrikanische Weingut Mont du Toit aufgebaut und mit Philippi und Werner Näkel vom Weingut Meyer-Näkel (Bad Neuenahr) die heruntergekommene Quinta da Carvalhosa im portugiesischen Douro-Tal wieder ins Leben gerufen.

Als die Rieslinge ausgeschenkt werden – die letzten Weine, die Bernhard Breuer zusammen mit seinem langjährigen Verwalter Hermann Schmoranz erzeugt hat –, fällt mir auf, wie erstaunlich leicht dieses Erbe auf den Schultern von Breuers jüngster Tochter zu ruhen scheint. Das, nicht weniger als ihre offene, selbstsichere Art, über Wein zu sprechen, macht sie zu einem typischen Mitglied der neuen Weingeneration. Es handelt sich um die erste deutsche Weingeneration, für die die Frage „männlich oder weiblich, Winzer oder Winzerin“ eigentlich gar keine Frage mehr ist.

Da ist nichts genuin Geschlechtsspezifisches, das die neuen deutsche Winzerinnen auszeichnet und vereint – oder anders gesagt: Was sie auszeichnet und vereint, ist genau das, was den neuen deutschen Winzern insgesamt gemeinsam ist, was sie unterscheidet von älteren Winzergenerationen: ihr unbekümmerter Spaß am Wein, ihre Weltoffenheit, ihre Abenteuerlust und Experimentierfreude und, paradoxerweise, ihr Traditionsbewusstsein. Die Kategorien „weiblich/männlich“ sind dagegen allenfalls Bestandteil des individuellen Temperaments. Ganz ähnlich könnte man die neuen deutschen Weine beschreiben, die es – zumindest in kleiner Stückzahl – seit ungefähr zwanzig Jahren gibt.

Die Rieslinge vor uns auf dem niedrigen gekachelten Tisch stellen eine bedeutende Facette dieser Welt dar. Das Weingut Georg Breuer ist kein traditionsreiches Unternehmen mit Jahrhunderten an Geschichte, sondern existiert in seiner heutigen, durch Bernhard Breuer geprägten Form seit 1990, und die Weinstilistik hier hat seine heutige Prägung erst im Laufe der 1990er-Jahre erfahren.

Theresa Breuer erklärt aufgeräumt, dass sie das Weingut unbedingt fortführen will, und es klingt, als ob diese Entscheidung – oder soll es Berufung genannt werden? – nicht sehr alt wäre. Ob sie wohl schon vor dem plötzlichen Tod ihres Vaters, der ein Gesundheitsfanatiker und ein Marathonläufer war, mit sich über ihre Zukunftsplanung gerungen hat? Es scheint mir besser, mit diesen Fragen zu warten, bis sie das Thema selbst anspricht, wenn überhaupt. Noch brennender allerdings würde mich interessieren, welche neuen Akzente sie bei den Breuer-Weinen in Zukunft setzen wird – aber dafür muss ich noch sehr viel mehr Geduld aufbringen.

So schmerzlich aktuell sich die Frage nach der Zukunft des Familienweinguts Breuer auch stellt, die Situation ist nicht ganz ungewöhnlich. Bei einer Reihe deutscher Spitzenweingüter schicken sich Töchter derzeit an, die Führung von ihren Vätern zu übernehmen.

Die auffälligsten Beispiele hierfür sind Katharina Prüm beim Weingut Johann Josef Prüm in Wehlen und Dorothee Zilliken beim Weingut Zilliken in Saarburg, beide im Weinbaugebiet Mosel-Saar-Ruwer gelegen, sowie Stefanie Hasselbach beim Weingut Gunderloch in Nackenheim im Gebiet Rheinhessen. Was heute noch wie eine neue Konstellation wirkt, wird spätestens in zehn Jahren so normal sein, dass ein solcher Wechsel gar keinen Kommentar mehr verdient.

Die Breuer-Weine sind alles andere als breite, überladene 2003er Alkohol- Monster und verlangen noch einige Monate Ruhe, bis man sie richtig einstufen kann. Fürs Abendessen gehen wir ins Restaurant Rüdesheimer Schloss hinüber, das Heinrich Breuer führt, Theresa Breuers Onkel. Die nächsten Jahre wird er Restaurant, Hotel und Weingut gleichzeitig managen müssen.

Im Restaurant wird der beeindruckend feine und tiefgründige 2002er Jahrgang des Berg Schlossbergs serviert; der Spitzenwein unter den Breuer’schen Weinen, dessen Flaschen jedes Jahr seit 1980 ein anderes Kunstwerk ziert. Das Bild auf dem 2002er Etikett ist das letzte noch von Bernhard Breuer ausgewählte und in mehrerlei Hinsicht sehr erstaunlich. Eine rätselhafte Figur ohne erkennbaren Kopf zerquetscht darauf mit seinen Händen eine riesige grüne Traube. Aus der Traube sowie aus dem Körper des Wesens fließt Traubensaft. Blutrot, quer über dem Bild stehen die Worte:

QUOD ERIT CORPUS

IN ME EST

LE CORPS DU FUTUR

EST EN MOI

„Der Körper der Zukunft ist in mir.“ Wir alle – auch der allem Aberglauben zutiefst abgeneigte Bernd Philippi – sind uns einig, dass diese Wahl heute wie ein Omen erscheint. Ich traue mich jedoch in diesem Moment nicht, meine Überzeugung zu äußern, dass der zukünftige Körper des Breuer’schen Weinguts mir bereits in Schlaghosen gegenübersitzt.

Theresa Breuer wird während der bevorstehenden Weinlese auf dem Weingut Fürst in Bürgstadt/Franken arbeiten. Es ist ihr erster Schritt in diese Richtung – und dieser Bericht der letzte, den ich je spezifisch über Frauen & Wein schreiben werde. Über Theresa Breuer wird dies hingegen nur der erste von sicher vielen Artikeln sein.

STUART PIGOTT, Jahrgang 1960, ist Weinautor mit internationalem Renommee. Er lebt seit 1993 in Berlin. Soeben ist von ihm das Handbuch „Stuart Pigotts kleiner genialer Weinführer“ im Argon-Verlag erschienen (176 Seiten, 9,90 Euro)