„Nix ist Geheimnis“

Mehr Transparenz fordert Bürgerschaftspräsident Christian Weber vom Senat– und will die öffentliche Wahrnehmung des Parlaments stärken

Christian Weber, 1946 in Schlesien geboren, ist seit 1990 Mitglied der Bremer Bürgerschaft. Von 1995 bis 1999 war er dort Vorsitzender der SPD-Fraktion. Mit Beginn der großen Koalition wechselte er ins Amt des Parlamentspräsidenten. Im Interview mit der taz Bremen erläutert er, warum die Debatte um e.on-Millionen und Grass-Stiftung nicht bloß ein Ausrutscher war, und wie sie zum Beginn einer wiedererwachten Streitkultur werden könnte. „Der Stein“, so Weber, „ist angestoßen. Das merke ich jetzt schon.“

taz: Herr Weber, was wäre das Schlimmste, was einem Bürgerschaftspräsidenten passieren kann?

Christian Weber: Auf so ein worst case-Szenario lasse ich mich gar nicht gerne ein. Aber das Schlimmste wäre wohl, wenn es eine Umfrage gäbe zum Thema, welche Rolle billigt man einem Parlament zu. Und es käme heraus: gar keine. Das wäre der totale Crash. Dann hätte sich bewahrheitet, was manch einer im Senat vielleicht im Kopf hat: Es geht auch ohne euch. Stört uns nicht, wir ziehen das schon durch. Da würde ich in tiefste Depression verfallen und sagen: Tschüss, mach’ ich nicht mehr.

Dann würden Sie aufgeben?

Ja, aber ich bitte Sie: Dann hätte man doch alles verfehlt, was man sich als überzeugter Parlamentarier wünscht.

Müsste man dann nicht erst recht die Ärmel hochkrempeln?

Nein, das wäre zu spät. Das machen wir jetzt.

Das verlangt aber klare Worte von einem Parlamentspräsidenten, der sich doch qua Amt im Interessenkonflikt bewegt. Wie ist das vereinbar?

Indem man seine Rolle klar definiert. Meine Definition dieser Rolle ist es, dieses Parlament zu stärken und den Bremern zu sagen: Was hier spielt, geht euch etwas an. Das hat nichts mit Parteizugehörigkeit zu tun. Das ist eine Kultur, die ich erreichen will.

Dabei heißt es doch, dass Bremens wichtige Entscheidungen in informellen Zirkeln fallen. Wie stärken Sie da den Einfluss der Bürgerschaft?

Ehrlich gesagt ist in diesem Stadtstaat die Kultur der parlamentarischen Kontroverse inzwischen etwas unterentwickelt. Das muss nicht nur mit einer großen Koalition zusammenhängen. Was hier passiert, welche Rolle man dem Parlament zubilligt, können Sie ja an den Diskussionen beispielsweise über die e.on-Millionen sehen.

Da hat es Unmutsäußerungen von Ihnen gegeben. Aber das kann doch nicht alles gewesen sein.

Richtig. Und wenn Sie die Medien verfolgen, haben Sie festgestellt, dass es da eine intensive Begleitung durch Leserbriefe und Kommentare gegeben hat. Das kommt bei den Bürgern an – und denen sind wir verpflichtet. Das sollte man von Regierungsseite auch nicht einfach als verfahrenstechnische Irritation abtun. Solche Dinge anzusprechen ist ein Grundelement parlamentarischer Demokratie.

Da scheinen Sie aber gegen Wände zu reden: Henning Scherf hat gesagt, Ihre Kritik sei nur dem neuen Pressesprecher geschuldet.

Genau das meine ich: Das ist ’ne kleine Münze, mit der der Bürgermeister da losgelegt hat. Ich glaube das hätte er lieber auch runtergeschluckt.

Trotzdem bleibt es doch das Symptom von Arroganz.

Da haben Sie Recht. Das kann ein Symptom sein. Aber warum sagt man so etwas? Wenn das Parlament seine ureigenste Aufgabe wahrnimmt, nämlich die Regierung zu kontrollieren, dann hat das doch nichts mit einem neuen Pressesprecher zu tun.

Nur wie wehrt man sich dagegen?

Ich glaube jedenfalls nicht, dass das mit einer Debatte erledigt ist. Der Stein ist angestoßen. Das merke ich jetzt schon. Die Abgeordneten sind noch sensibler und kritischer geworden. Das heißt nicht, plötzlich entdecken wir uns und hauen nur noch aufeinander ein. Wir müssen die Kontrollinstrumente einsetzen und trotzdem gut miteinander umgehen.

Als Sie Chef der SPD-Fraktion waren, schrieb man Ihnen Ambitionen auf einen Senatsposten zu. Ihr jetziges Amt gilt dagegen vielen – böse gesagt – als Abschiebeposten. Wie gehen Sie damit um?

Wenn irgendjemand glaubt, ich hätte Senator werden wollen, dann weiß er mehr als ich. Als Abgeordneter haben Sie keine höhere Legitimation. Sie sind von den Bürgern gewählt – das ist das Höchste, was Sie erreichen können. Als Landtagspräsident haben Sie quasi noch einmal gebündelt die Legitimation durch alle Abgeordneten. Ich kann mir wirklich nichts Schöneres und Edleres vorstellen.

Wenn man sonst einen Politiker fragt, wo er hin will, sagt der doch: in die Regierung…

Ich nicht. Und ich habe keine anderen Ambitionen, als dieses Parlament zu einem wahrnehmbaren Faktor zu machen. Ich will in den Fokus der Öffentlichkeit bringen, dass es eben nicht bloß einen Exekutiv-Föderalismus gibt.

Da werden auch noch Kämpfe nötig sein?

Glauben Sie ja nicht, dass das so durchgewunken wird! Sie kennen doch unseren geschätzten Präsidenten des Senats.

Sprich: Sie wollen sich den Auseinandersetzungen stellen?

Ja klar!

Sie gelten allerdings als jemand, der nur ausgesprochen selten mal ein böses Wort gebraucht...

Ja ist das denn ein böses Wort, zu sagen, wir wollen das Parlament so aufstellen, dass es noch mehr öffentlich wahrgenommen wird?

Nein. Das ist eine Absichtserklärung.

Nein, das ist mehr. Wir sind ja im Begriff, das umzusetzen: Das ist nicht mehr zurückzudrehen.

Was ist der nächste Schritt auf diesem Weg?

Ein nächster Schritt betrifft die Frage der Privatisierung – wie das dort mit der Geschäftsführung zu funktionieren hat. Dabei soll nicht in Frage gestellt werden, dass vieles outgesourced wurde. Aber die Gesellschaften sollen sich transparent zeigen. Dass sie jetzt nicht mehr öffentlicher Dienst sind, kann ja eben nicht heißen, dass sie sagen, wir zeigen höchstens noch die Bilanz vom Vorjahr. Das sind Steuergelder, mit denen die Gesellschaften umgehen.

Das heißt?

Das heißt, die Projekte müssen transparent dargestellt werden. Aber eben auch die Geschäftsführer selbst müssen ihre Bezüge offen legen. Mein Gehalt kann man im Gesetz nachlesen, das des Bürgermeisters, die Bezüge der Abgeordneten auch…

Die Gesellschaften ziehen sich darauf zurück, dass sie ja privatrechtlich verfasst sind...

Genau. Die sagen einfach, du darfst uns nicht in die Papiere schauen. Das ist natürlich nicht, was wir uns bei der Privatisierung gedacht hatten. Wir sind ja den Leuten, die uns gewählt haben, Rechenschaft schuldig. Denen gegenüber müssen wir Bilanz darüber ablegen, was mit ihren Steuergeldern geschieht. Und da soll mir nicht eine Exekutive kommen oder ein Geschäftsführer und sagen: Das ist Geheimnis. Nix ist Geheimnis. Das sind Gelder, die wir im Haushalt bewilligen. Deren Verwendung muss nachvollziehbar sein. Und wenn das bisher nicht passiert ist, passiert das eben jetzt.

INTERVIEW B. Schirrmeister