Dornröschen ist aufgewacht

Nach der langjährigen Suche nach einem geeigneten Standort hat das Drama um die Berlinische Galerie jetzt ein Ende gefunden: Am Donnerstag wurde in Berlin das Landesmuseum für Moderne Kunst, Architektur und Photographie neu eröffnet

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Nicht mehr bei MoMA, nicht bei Flick, sondern in der Alten Jakobstraße konzentriert sich seit heute das wahre „Best of Berlin“. Das will man auf den ersten Blick nicht glauben, liegt doch die neu eröffnete Berlinische Galerie, das Landesmuseum für Moderne Kunst, Architektur und Photographie, in den behaglichen Gegenwelten des Kreuzberger Biotops aus Mauerzeiten. Die Museumsinsel und ihr modernes Pendant, das Kulturforum, sind weit, ein „Streichelzoo“ mit Entlein im Gehege und sozialer Wohnungsbau aus den glorreichen Sanierungstagen der Internationalen Bauausstellung IBA dagegen gehören zu den Nachbarn des Museums. Und dann und wann ein Lädchen, ein Italiener oder Türke. Also Urbanität pur!

Täuschen lassen von der Verschlafenheit des Standortes indessen darf man sich nicht. Um die Ecke liegt das Jüdische Museum Berlin, der „Libeskindbau“, den die Besucher tagtäglich förmlich überrennen. Kaum einen Steinwurf entfernt brodelt der Checkpoint Charlie. Mit der Berlinischen Galerie und seinen großen Sammlungen von der Berliner Secession über die internationale Avantgarde und Dada mit Naum Gabo, Raoul Hausmann oder Hannah Höch, die Neue Sachlichkeit eines Otto Dix oder den abstrakten Expressionismus Fred Thielers bis hin zur Gegenwart mit Georg Baselitz und Walter Libuda dehnt sich die Museumslandschaft der Hauptstadt weiter in die Kreuzberger Topografie aus Wohn- und Gewerbebauten. Die kulturelle Peripherie wird Zentrum, wird „Best of the Art“, folgen noch der Bau der Topographie des Terrors und die Erweiterung des Deutschen Technikmuseums, so sieht es jedenfalls Berlins PDS-Kultursenator Thomas Flierl.

Ganz so einfach ist es nicht. Sieben Jahre nach dem Auszug aus dem Martin-Gropius-Bau, den der Bund als Ausstellungshalle für sich beanspruchte, und einem Leben im Depot steht die Berlinische Galerie quasi wieder am Beginn ihrer Bedeutung innerhalb des Berliner Museumsbetriebs.

Zum einen kennt eine halbe Generation von Kunstinteressierten das Museum gar nicht, geschweige denn seinen jetzigen Bau in einem ehemaligen Glaslager. Man rennt nach Mitte in die Galerien, in die KunstWerke, auf die Museumsinsel oder zur Flick-Collection im Hamburger Bahnhof – alles eingeführte Räume im über die Jahre gesteigerten Berliner Kunst- und Kulturarsenal.

Zum anderen bedeutet die neue Heimstätte des Museums mehr ein kulturpolitisches Wunder denn ein ästhetisch-architektonisches. 55 Millionen Euro wie etwa für das spektakuläre Jüdische Museum war man angesichts des maroden Berliner Haushalts nicht mehr bereit zu investieren. Gerade einmal 18,7 Millionen Euro „und keinen Cent mehr“ gab der Regierende Bürgermeister für die Realisierung des Museums, das sein Direktor Jörn Merkert schon mal als „Kiste“ bezeichnet und das schwerlich wie der benachbarte Libeskindbau als architektonischer Superlativ die Besucher animieren kann. Doch das kann sich ändern, zumal das Land mit der Berlinischen Galerie kulturpolitisch „gepunktet“ hat. Durch den sparsamen Umbau der Glaslagerhalle aus den Sechzigerjahren gelang eine Aufwertung des Standorts, der Galerie und des Quartiers insgesamt. Zugleich hat das Land Wort gehalten, der 1975 gegründeten Berlinischen Galerie und der in Berlin entstandenen Kunst der letzten hundert Jahre wieder eine Heimat zu geben. Obwohl es lange Zeit nicht danach aussah: 1997 guckte sich der Museumsdirektor in Prenzlauer Berg nach Räumen um. Es folgte die Suche in Berlin-Mitte: Den bis bis dato besten Standort, das alte Postfuhramt an der Oranienburger Straße, wollte aber der Senat nicht finanzieren. Dann wich man nach Kreuzberg auf das Gelände der einstigen Schultheiss-Brauerei aus. Dort ging 2001 der Investor pleite. Erst die kostengünstige Aussicht, in jenes Glaslager zu ziehen, brachte 2002 Bewegung in das „Drama, ja die Katastrophe um die Berlinische Galerie“ wie Merkert erinnert.

Das Drama hat ein Ende. Nähert man sich dem Bauwerk über den gelbschwarzen „Buchstabenteppich“, wird deutlich, dass die Münchener Architekten Jörg Fricke und Juan de Diego ein schlichtes Gebäude im Stil der Neuen Sachlichkeit erschaffen haben. Hinter einem langgestreckten Eingangsflügel aus Glas unter weißen Kuben für die Büros und die Bibliothek öffnet sich eine 60 mal 60 Meter große und 11 Meter hohe Halle. In dieses riesige Quadrat hinein stellten die Architekten seitliche Schauräume – auch für Wechselausstellungen – und in die Mitte eine X-förmige, die Halle kreuzende Freitreppe, die quasi als Raumskulptur und Erschließung der oberen offenen Ausstellungsebenen dient. Die Himmelsleiter ist das Markenzeichen des Baus. Hier laufen alle Linien zusammen, man überblickt das gesamte Museum, von hier geht es in die vier Abteilungen – ähnlich dem Konzept der Pinakothek der Moderne in München und ihrer offene Diagonalen.

Zur Eröffnung hat Merkert die „Schatztruhen“ des Museums und damit der „Kunststadt Berlin“ aus einem Jahrhundert geöffnet. Von der klassischen Moderne im Obergeschoss hinunter zu den Figurationen und Environments Thomas Ellers und Svetlana Kopystianskys wird alles aufgefahren mit Rang und Namen. Letzteren hat die Berlinische Galerie nun wieder. Den Rang in der Berliner Museumslandschaft muss sie sich mit Neuem zusätzlich sichern.

Täglich geöffnet von 12 bis 20 Uhr