Rettet das Sportstudio. Vor Poschi!

Die einst innovative ZDF-Samstagabend-Fußballsendung ist seit Jahren eine Mumie. Da aber Kritik beim ZDF nichts nützt: Ein konstruktiver Vorschlag zur Wiederbelebung

VON PETER UNFRIED

Die Kritik an der EM- und Olympiaberichterstattung speziell des ZDF und dem dafür zumindest mitverantwortlichen Sportchef Wolf-Dieter Poschmann („Poschi“) war differenziert und doch flächendeckend vernichtend. Tenor: Bitte weniger Dramatisierung, weniger Simplifizierung, weniger Gefühle, weniger Gekungel, weniger Dachterrassen-Gefasel. Dafür mehr seriöse Analyse, mehr Hintergrund, mehr Journalismus. „Poschmann-Sport ist Doping-frei, Schmerz-frei und Kritik-frei“, analysierte die SZ, der Chef selbst sei wie ein „computergesteuertes Worthülsenprogramm“. Die Kritik wurde ignoriert, Poschmann habe „einen hervorragenden Job gemacht“, insistierte fast schon tollkühn Chefredakteur Nikolaus Brender. Poschmann selbst sagt gerne, der Zuschauer kriege, was er wolle. Ist das Realismus oder Zynismus? Falls es stimmt, steht es nicht gut um die geistige Verfasstheit der deutschen Gesellschaft. Und: Es wird sicher nicht besser, wenn man einem Begehr nach Dumpfheit so willfährig nachkommt.

Selbstverständlich greift es zu kurz, den Öffentlich-Rechtlichen die Schuld an der Schlechtigkeit der Welt zu geben. Aber ZDF-Intendant Markus Schächter verkündete unlängst wieder, er wolle „mit Qualitätsfernsehen einen Beitrag für die Gesellschaft leisten“. Das ist doch ein Wort. Also lassen wir die Nickligkeiten und das Mosern. Helfen wir mit, dass es wieder aufwärts geht mit dem ZDF. Ich hätte da einen Vorschlag: Es handelt sich um das Sportstudio.

Man kann es einstellen, klar.

Man könnte daraus auch eine Fußballsendung machen. Eine Qualitätsfußballsendung. Manche Verklärer würden das Sportstudio“ vermutlich als „lebende Legende“ bezeichnen. Dabei ist es tot. Toter geht nicht. Es gab ja schon immer zu denken, dass die am 24. August 1963 gestartete Sendung immer eine Fußballgesprächesendung war, das berühmteste Interview aber mit einem Boxer geführt wurde – der kein Wort sagte. Dennoch, auf dem Epitaph steht einiges Gute. Das Sportstudio hat in den 60ern, dem Zeitgeist entsprechend, die Feuilletonisierung des Fußballs befördert. Zum einen hat man angefangen, das Spiel als „Geschichte“ zu erzählen, zum zweiten kam die Geste der Bedeutungsrelativierung hinzu.

Die klassische Feuilletonisierung des Fußballs ist heute tot. Die Beschäftigung mit dem Spiel hat sich in viele Richtungen entwickelt. Eine ist die fortschreitende Boulevardisierung, eine entgegengesetzte die Schule der neuen Sachlichkeit, seit einiger Zeit vor allem in Qualitätsprintmedien zu beobachten. Sie enthält durchaus feuilletonistische Elemente und versteht es zu unterhalten, basiert aber auf einer soliden sachlich-fachlichen Basis und ist auch in der Lage, gesellschaftliche Zusammenhänge zu erkennen und zu benennen. Ohne auf peinliche Taschenspielertricks zurückgreifen zu müssen.

Das Sportstudio war spätestens in den 90ern überrollt worden von der Invasion der Fernsehfußball-Formate. War es Strategie, war es Verzweiflung, jedenfalls hat es den Anschein, man habe den Ausweg in der Banalisierung gesucht. Im Zuge der Popularisierung des Fußballs in den letzten Jahren hat ja tatsächlich die Zahl jener, die sich „interessieren“, stark zugenommen. Das neue Publikum in den Stadien, die Massen am Fernseher, die Leser von Bunte, sie alle „interessieren“ sich für Fußball. Das heißt nicht, dass sie wirklich wissen wollen, wie nun bei Mainz 05 das „Spiel gegen den Ball“ im Detail funktioniert. Aber das macht nichts, denn die schauen das Sportstudio sowieso nicht an. Zuschauerzahl und Quote sind ja seit längerer Zeit so extrem gesunken, dass man es vom angestammten Platz um 22 Uhr ins Nachtprogramm verbannte. Und das, obwohl man sich nach Poschmanns Prinzip redlich Mühe gibt, das Leder und die Berichterstattung darüber schön flach zu halten.

Das heißt: Es gibt kein Massenpublikum (mehr) für Fußball als Samstagabendunterhaltung. Es gibt aber ein Fachpublikum, dass sich danach sehnt, am Samstagabend beim dritten Durchgang durch den Bundesligaspieltag über das bereits gesehene (die Tore) und Gehörte (die üblichen Interviews) hinaus, FACHLICH informiert und vernünftig unterhalten zu werden. Sodass man am Ende nicht alles noch mal gesehen hat, sondern mehr weiß. Ja, klar: Es gibt gute ReporterInnen beim ZDF, die in sachlichen Beiträgen auch dem professionellen Beobachter noch etwas Neues zu erzählen haben – doch das wird überlagert von jenen, die es schon für den Gipfel des Fachlichen halten, wenn sie den Namen des Klubs nennen, von dem der Schiedsrichter kommt.

Aber nun zum größten Optimierungspotenzial: Wer über Fußball tatsächlich etwas erfahren will, braucht einen Moderator, der über Fußball reden kann. Von den vier Sportstudio-Jungs Kerner, Steinbrecher, Poschmann und Cerne ist Kerner nach Einschätzung von Fußballkennern der Beste. Braucht man mehr sagen?

Poschmann ist ein kompetenter Leichtathletik-Experte, dessen Hauptvergnügen als Moderator die Freude an den eigenen Witzen zu sein scheint („Wolfsburg? Das Nachtleben da ist ja spektakulär.“). Bei ihm ist die Bedeutungsrelativierung des Gegenstands keine sympathische Geste wie einst bei Günther Jauch, sondern ein Offenbarungseid für das Format. Wozu befragt ein Moderator einer Fußballsendung Fußballer zum Fußball, wenn es ihn nicht interessiert? Und was Rudi Cernes Arbeit betrifft: Dafür müsste man ihn bei „Aktenzeichen XY“ suchen lassen. Cerne lässt sein Hauptpotenzial sträflich ungenutzt: Wer selbst überhaupt keine Ahnung hat, müsste doch – zumindest theoretisch – allerhand zu fragen haben.

Man darf dem alten und dem neuen Fußballpublikum nichts vorwerfen und man darf nichts erwarten: Aber man kann ihm ein Angebot machen, das die Analyse dessen, was es im Stadion oder bei Konkurrenzsendern gesehen und erlebt hat, fachlich unterstützt. Man kann eine Kultur schaffen, die da heißt: Ernsthaft unterhaltend über Fußball reden. Ohne dass gleich ein kicker draus wird. Ohne dessen Parodie namens DSF-Taktiktisch. Dann bliebe als Ergebnis nicht übrig: Aha, der Wolfsburger Profi Pablo Thiam findet also, dass man sogar in Wolfsburg abends vernünftig ausgehen kann? Sondern: Ist ja spannend, wie Thiam sich und seine Mittelfeldarbeit sieht zwischen d’Alessandro, Hristov und Karhan.

Und so reden dann Rangnick und Klopp und Toppmöller über Fußball. Und eines Tages kommt sogar Volker Finke. Und zwar nicht, um NICHT über Fußball zu reden. Nein, er wird reden über Fußball. Zum ersten Mal seit einem Jahrhundert. Wahnsinn! Solche Dinge könnten da passieren. Wenn man das will. Und dann schreien jeden Montag die kleinen Mädchen auf dem Schulweg einander zu: Mensch! Hast Du das Sportstudio gesehen? LE-GEN-DÄR! Und die großen Jungs machen sich regelmäßig vor lauter Aufregung in die Hosen.

ZDF-Sportstudio, heute, 22.45 Uhr. Mit Rudi Cerne. Wie war’s? unfried@taz.de