Die Bank als Stressfall

Am Jahresende ist die Geldspritze für die HSH Nordbank bereits verbraucht, befürchtet der Kieler Ex-Wirtschaftsminister Werner Marnette. Hamburgs SPD freut sich auf den Untersuchungsausschuss

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Das Szenario für den „Stressfall“ lautet: Die Kernkapitalquote der HSH Nordbank, von den Eigentümer-Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein vorige Woche mit drei Milliarden Euro auf neun Prozent erhöht, halbiert sich binnen eines Jahres auf etwa 4,5 Prozent. Die Staatsgarantien von zehn Milliarden Euro schmelzen ab, die beiden Länder müssen Geld nachschießen, das sie sich selbst leihen müssen. Und zwei Drittel der Schiffsfinanzierungen – als Zentrum der geplanten gesunden HSH-Kernbank gedacht – schlagen leck.

Werner Marnette ist davon überzeugt, dass dieser Fall eintreten wird. „Das Geld ist Ende dieses Jahres schon verfrühstückt“, sagt der vor einer Woche zurückgetretene Kieler CDU-Wirtschaftsminister in einem Spiegel-Interview. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und Finanzminister Rainer Wiegard (beide CDU) warf Marnette vor, an realistischen Zahlen zur Bewertung der Bank kein Interesse gehabt zu haben. Und der seit November 2008 amtierende Nordbank-Chef Dirk Jens Nonnenmacher habe „uns zum Narren gehalten“. Er sei mit seinen frühzeitigen Warnungen allerdings bei Carstensen und Wiegard sowie bei Hamburgs Finanzsenator Michael Freytag (CDU) abgeblitzt, beklagt Marnette. Die hätten alles „eiskalt“ und „ganz brutal getaktet“.

Er zweifele nicht an Marnettes „wirtschaftlichem Sachverstand“, sagt Hamburgs SPD-Fraktionschef Michael Neumann. Immerhin habe dieser die Norddeutsche Affinerie in Jahrzehnten als Vorstandschef zur größten Kupferhütte Europas gemacht. Marnette werde „ein sehr wichtiger Zeuge werden“, vermutet Neumann – im parlamentarischen Untersuchungsausschuss Nordbank, den die Hamburger Bürgerschaft in zwei Wochen auf SPD-Antrag beschließen wird. Er schließe nicht aus, dass „nicht nur der Kopf von Finanzsenator Freytag rollen wird“, wenn Marnettes Vorwürfe sich bestätigten.

Dann seien auch Carstensen und Wiegard „nicht mehr tragbar“, ergänzt Karl Martin Hentschel, Fraktionschef der Grünen im Kieler Landtag. Über den in den Osterurlaub gefahrenen Regierungschef spottet er: „Carstensen verhält sich wie ein Kapitän, der im Sturm den Wetterbericht abschaltet, weil er keine schlechten Nachrichten hören will.“

Nordbank-Chef Nonnenmacher hat die Aussagen des zurückgetretenen Kieler Wirtschaftsministers Werner Marnette (CDU) zur finanziellen Lage der Bank zurückgewiesen. „Die öffentlichen Äußerungen von Herrn Marnette zur strategischen Neuausrichtung der HSH Nordbank sind für mich nicht nachvollziehbar“, sagte Nonnenmacher am Montag. „Das jetzt verabschiedete Konzept ist von mehreren renommierten Wirtschaftsprüfern, Unternehmensberatern und der Soffin intensiv geprüft und für gut befunden worden“, sagte Nonnenmacher.

„Es wäre schön gewesen, wenn Herr Marnette als Minister sein Wissen im Kabinett weitergegeben hätte. Niemand hätte ihn daran gehindert“, behauptete hingegen ein Regierungssprecher in Kiel. Seine „späten Kassandrarufe“ würden jetzt „nur der HSH Nordbank schaden“.

Der Kieler SPD-Fraktionschef Ralf Stegner hingegen bestätigt Marnettes Äußerungen in Teilen. Bis zum Herbst vorigen Jahres hätte es „sehr wohl eine Lösung mit Hilfe des Bundes geben können“, sagte er gestern im Gespräch mit der taz. „Für zukunftsfähige Lösungen“ habe Berlin bereit gestanden, dann hätten Hamburg und Schleswig-Holstein „die erheblichen Risiken nicht fast alleine tragen“ müssen. Mehrere deutsche CDU-Ministerpräsidenten hätten jedoch an diesem Weg „kein Interesse gehabt“, so Stegner.

Diese hätten nicht wahrhaben wollen, „dass die schönen Zeiten, in denen die Bank jedes Jahr 50 bis 70 Millionen Euro in den Haushalt gebuttert hat, vorbei sind“, glaubt auch Marnette: „Die hofften immer noch auf ein Wunder.“