Dauerläufer und Dauerschreiber

Den passionierten Hamburger Leserbriefschreiber Rasmus Ph. Helt dürstet es nicht nach dem Eintrag ins Guinness-Buch, sondern eher nach politischen Visionen. Die Themen zum Schreiben fallen ihm beim Joggen ein

Eine Stunde pro Tag für Leserbriefe – „vielleicht gar eine politische Mission“

von RONNY GALCZYNSKI

„Rasmus, ab in den Bauwagen, du alter Dummschwätzer.“ Nicht gerade die feine hanseatische Art, die ein Anonymus via Postkarte an Rasmus Ph. Helt adressierte. Ein Leser der Welt. Dort hatte sich Helt per Leserbrief wohl allzu liberal in die Hamburger Debatte um den Bauwagenplatz Bambule eingemischt.

„Das kommt schon mal vor, dass sich Leute so aufregen – aber nicht oft“, klärt der Student der Geschichte, Politik und Volkswirtschaft sein Verhältnis zu den Gefühlswallungen des gemeinen Leserbrieflesers. „Im hohen dreistelligen Bereich“ vermutet der im Stadtteil Hamm beheimatete Vielschreiber die Anzahl seiner bislang für rund 30 Zeitungen und Zeitschriften bundesweit verfassten Leserbriefe. In Hamburger Tageszeitungen ist er ohnehin Dauergast. Mit Leserbriefverfasser Leif Boysen aus Flensburg, der mit rund 7.000 Leserbriefen deutscher Rekordhalter ist, möchte er aber auf keinen Fall verglichen werden. „Ich will nicht wie der möglichst viele Briefe veröffentlichen.“

Und Vorbild ist Boysen schon gar nicht. Dann eher August Bebel. „Den bewundere ich. Ein über 90-jähriger Historiker hat mir auf Grund eines Leserbriefs, den er in der FAZ von mir gelesen hatte, ein Buch über Bebel zugeschickt. Ich schrieb, dass Schröder keine Visionen hat, Lafontaine aber schon.“

Aufgewachsen ist der 30-Jährige in Quickborn nördlich von Hamburg: „Ich komme aus einem politischen Elternhaus. Wir haben zu Hause immer über irgendwas diskutiert. Eine typische SPD-Familie“, beschreibt Helt und outet sich gleichwohl als Sympathisant der Grünen: „Mit dem Gedanken, mich politisch zu engagieren, spiele ich schon lange. Das scheiterte bislang an Zeit und Bequemlichkeit. Ich wollte aber immer was für die Grünen machen.“

Seinen allerersten Leserbrief schickte Helt übrigens an die Welt – das war 1992. Inhalt der Zuschrift: Ein Plädoyer für den Erhalt des ostdeutschen Jugend-Radiosenders DT64. Die Laufbahn als regelmäßiger Schreiber begann allerdings erst mit Beginn des Studiums 1997 und dem Internet-Boom. Doch was motiviert den passionierten Jogger („Beim Laufen fallen mir immer Sachen für neue Leserbriefe ein“) überhaupt? Profilsucht, Besserwisserei? Nichts davon, versichert Rasmus Philipp Helt – und es klingt glaubwürdig: „Es macht einfach Spaß. Eine Mission habe ich nicht und will anderen Leuten auch nicht meine Ansichten aufzwingen. Ich bin nur mein eigener Think-Tank, mache mir zu Themen Gedanken und lasse die Öffentlichkeit daran teilhaben.“ Stimmt nicht ganz, denn manchmal will er auch andere überzeugen: Beispielsweise den Lesern von Abendblatt und Welt die antiliberale Haltung der Schill-Partei verdeutlichen: „Da ist es vielleicht sogar eine politische Mission“, sagt er.

Viel Zeit investiert er nicht in sein Hobby: „Durchschnittlich eine Stunde pro Tag.“ Das scheint aber zu reichen, denn die Quote seiner abgedruckten Briefe ist überdurchschnittlich: Weit über 50 Prozent. Da kommt auch kein Boysen mit. Und der eine oder andere Anonymus muss sich auch weiterhin auf liberales Gedankengut in seiner konservativen Leib- und Magen-Postille gefasst machen.

Doch eine Hoffnung bleibt allen Helt-Hassern: Wenn er im nächsten Jahr sein Studium beendet, wird neu nachgedacht: „Eventuell gehe ich nach Dänemark. Mein Vater ist ja Däne, und die wirtschaftlichen Perspektiven sind dort auf jeden Fall besser.“ Entschieden ist das noch nicht. Und wenn er hier einen guten Job als Online-Journalist bekommt, wird es auch weiterhin Zehnzeiler aus Hamm zu lesen geben. Sicher auch in der Welt – mit allen Konsequenzen.