Schmalz vereint

Bremen einig Theaterland: Paritätisch mit Wessis und Ossis besetzt erklingt im Schauspielhaus der Kalte Krieg

Das hätte man nicht erwartet: Wenn der Programmzettel das deutsch-deutsche Thema verheißt, dann geht der gemeine Rezensent eher motzig ins Schauspielhaus: Das ist doch abgefrühstückt. Und dann kommt da ein Schweizer Regisseur daher und serviert einen Theaterabend, der durch den Terror der Ostalgieshows hindurchgegangen ist. Und der die Früchte von 13 Jahren harter Verdrängungsarbeit im grellen Licht der Strahler platzen lässt. Brachial-heiter, nie realistisch, aber ekelhaft wahr.

So geschehen am vergangenen Wochenende in Bremen: Dort nämlich erlebte Erik Gedeons „Familienschlager “ seine Uraufführung. „Eine musikalische Wiedervereinigung“ so der Untertitel, und tatsächlich ist das Stück aufgebaut wie eine Nummernrevue: Abwechselnd intonieren die zwei getrennt im Guckkasten lebenden Familien West- und Ostheimer einschlägige Gesangstraditionen. Bevorzugte Quelle im luxuriöseren linken Bühnenteil: die Hitparade. Rechts fehlt die Zentralheizung, stattdessen ein Kanonenofen. Und man greift gerne aufs FDJ-Liederbuch und die Marschgesangs-Fibel „Heimat, dich werden wir hüten“ zurück. In der Mitte steht, zu diesem Zweck, Kay Werner Dietrich als Ostmüller Junior: Er ist der Grenzsoldat.

Eine bloße Revue ist „Familienschlager“ trotzdem nicht. Eher Schauspiel ohne Dialoge: Ein kalter Sängerkrieg entbrennt in der Mimik – etwa wenn Helmut Zhuber gewitzt überlegen durch seine Goldrandbrille linst und ostentativ Beifall klatscht, wenn von drüben „Die Internationale“ erklungen ist. Wir lassen uns doch nicht provozieren, das könnte er wohl sagen. Braucht er aber nicht. Perverse Fressorgien – zum Fürchten, wie sich Jördis Triebel als Tochter West die Trinkjoghurts ins Maul laufen lässt – signalisieren Konsumsucht. Die Menschen aus dem anderen Teil der Bühne sind dafür mitleiderregend ideologisch verstümmelt: Papa Ost trägt Stümpfe. Die Handprothesen: Ein Hammer und eine Sichel.

Richtig. Das alles sind Klischees und zwar der übelsten Sorte; ganz auf dem Niveau der Liedtexte, die, ungefiltert durch die reflektierende Intelligenz von Dialogen, aufs Publikum hereinbrechen. Das Schlimme daran – und das heißt: das theatralisch Gute: Es funktioniert. Deshalb auch ist es mehr als ein gelungener Gag, dass man bei der Besetzung penibel auf Parität geachtet hat: Die Hälfte der Crew stammt aus dem Osten, die übrigen sind Wessis – und eine geschlossenere Ensemble-Leistung lässt sich dennoch kaum denken. Das ist ein schöneres, wenn auch vielleicht weniger wahres Bild von Harmonie als das der beiden Väter, die sich zu Reinhard Meys Schnulze „Über den Wolken“ auf der gefallenen Grenze treffen. Zum Saufen, was sonst. Es heißt: Wiedervereinigung könnte möglich sein. Auch jenseits von Zynismus und Schmalz. bes

Bremer Theater. Nächste Aufführungen: 22., 27. & 29. November, 20 Uhr