Die Koalition fristet ihre Kinder

Kita-Krise: Gesamtes Gutscheinsystem wird bis Januar geprüft und dann möglicherweise gekippt. Senator Lange wird sofort unter Aufsicht gestellt, genaue Höhe des Defizits bleibt vorerst unklar. Opposition sieht keine Hoffnung mehr für Familien

von SVEN-MICHAEL VEIT

Zwei Monate lang wird das Kita-Gutscheinsystem von Grund auf überprüft – und dann möglicherweise gekippt. Das ist das Ergebnis des gestrigen Krisengipfels der Rechts-Koalition im Hamburger Rathaus. Dieser sei „in sachlicher Atmosphäre“ verlaufen, berichtete Senatssprecher Christian Schnee, „frostig“ wäre die treffendere Charakterisierung, meinen andere. Bis Mitte Januar soll nun eine „Lenkungsgruppe“ einen Vorschlag erarbeiten, „ob das System fortgeführt werden darf und kann“, so Schnee. Dass diese Formulierung auch das Ende des allseits in die Kritik geratenen Gutscheinsystems beinhalten kann, sei „nicht zu dementieren“, räumte Schnee auf Nachfragen ein.

Am Vormittag hatte Kita-Senator Rudolf Lange (FDP) auf dem Treffen mit Bürgermeister Ole von Beust, Finanzsenator Wolfgang Peiner (beide CDU), weiteren Senatsmitgliedern und den Spitzen der Koalitionsfraktionen das entstandene Defizit erneut „nicht präzise“ benennen können. Der Fehlbedarf liege jedoch, so wurde im Rathaus bestätigt, in der vor zwei Wochen von der taz enthüllten Größenordnung: Etwa 37,7 Millionen Euro fehlen dem Senator allein in diesem Jahr, um den Status quo aufrechtzuerhalten. Die bereits bewilligten Gutscheine, das beschloss die Koalitionsrunde, werden dennoch nicht wieder einkassiert (siehe Text unten).

Den Fehlbetrag in Höhe von etwa 18,7 Millionen Euro will der Senat bei den Haushaltsberatungen am 16. Dezember bewilligen, die erste Rate von 19 Millionen Euro, welche die Bürgerschaft am 29. Oktober bewilligte, war nur die halbe Miete. Der Bedarf für das kommende Jahr soll nun, dies der gestern erteilte Arbeitsauftrag, konkret ermittelt werden. Kritiker befürchten eine Summe von bis zu 57 Millionen Euro für jedes weitere Jahr.

Offiziell freute Lange sich über die Lenkungsgruppe, obwohl deren Einsetzung faktisch auf seine Entmachtung hinausläuft. „Auf Staatsratsebene“ und unter Beteiligung von Experten sollen die Senatskanzlei, die Finanzbehörde, die Sozial- und Familienbehörde (Sofa) von Birgit Schnieber-Jastram (CDU) sowie Langes Bildungsbehörde „das Kita-System optimieren“. Ziel sei es, so wörtlich, „aus den Erfahrungen und Schwierigkeiten zu lernen und die Regelungen dem Finanzrahmen anzupassen“. Diplomatisch verbrämte Formulierungen, die im Klartext bedeuten: Die Bildungsbehörde hat das Kita-System in den Sand gesetzt, ein Notfall-Kommando soll nun retten, was noch zu retten ist, und den Preis möglichst niedrig halten.

Selbst der Beteiligung von Schnieber-Jastrams Sofa-Behörde vermag Lange Positives abzugewinnen: Deren „Kompetenz im Umbau sozialer Systeme“ sei hilfreich, ließ er per Pressemitteilung verlauten. Bereits vor einer Woche hatte die taz Gedankenspiele in der Koalition thematisiert, den Kita-Bereich an Schnieber-Jastram zu überantworten. Jetzt hat das Rechts-Bündnis vorerst die weiche Lösung bevorzugt. Der FDP-Senator soll ausbaden, was er anrichtete, die Lenkungsgruppe bringt Grund in die Sache, und im Januar kann die CDU besser abschätzen, wie groß der Klotz ist, den ihre Senatorin sich möglicherweise ans Bein binden muss.

So oder so sieht die Opposition „keine Hoffnung für Familien“, wie Thomas Böwer (SPD) den Krisengipfel bewertet: „Der Senat kapituliert vor dem Kita-Chaos.“ Bürgermeister von Beust halte „an einem Senator fest, der das Kita-System ruiniert, um seine eigene Macht nicht zu gefährden“, befindet Sabine Steffen (GAL). Und deshalb sei spätestens gestern, meint Böwer, „aus dem Problem Lange ein Problem von Beust geworden“.