„Der Bund wird rufen: Ausziehen!“

Es kann nicht sein, dass nach dem Haushaltsurteil jeder auf den Sozialetat schielt, findet Gesine Lötzsch. PDS-Senatoren dürften sich nicht „die Beine weghauen“

taz: Frau Lötzsch, Klaus Wowereit hat gestern ein Misstrauensvotum überstanden. Der rot-rote Senat sieht sich nach dem Urteil des Verfassungsgerichts sogar bestätigt. Teilen Sie diese Einschätzung?

Gesine Lötzsch: Die Reaktionen auf das Urteil haben mich irritiert. Was ich beinahe gespenstisch fand: Alle haben sich über das Urteil gefreut. Kläger und Beklagte meinen beide, das Urteil gebe ihnen Rückenwind. Das ist ja wohl kaum möglich.

Wem nutzt das Urteil?

Das Urteil liefert denen Argumente, die Politik auf Sparen beschränken wollen.

Gehört dazu auch die PDS im Berliner Senat?

Wir sind in den Senat eingetreten, um den Haushalt in Ordnung zu bringen. Unser Credo ist aber nicht das Sparen, sondern soziale Gerechtigkeit in dieser Stadt durchzusetzen. Es kann nicht sein, dass unmittelbar nach dem Urteil sofort alle auf den Haushalt der Sozialsenatorin schielen. Es gibt noch ganz andere Reserven.

Welche?

Können wir uns noch einen Großflughafen leisten? Oder gucken wir uns den Haushalt der Stadtentwicklung an. Da gibt es noch jede Menge zu holen, angefangen beim Planwerk Innenstadt einschließlich des Senatsbaudirektors. Herr Stimmmann ist eine persönliche Überausstattung von Peter Strieder.

Geht die PDS bisher politisch klug mit dem Urteil um?

Einige von uns haben sofort über Kürzungen im Kultur- und Sozialbereich geredet. Das ist ein Denkfehler. Wir sollten stattdessen zurückkehren zu den Konzepten, die wir in der Opposition erarbeitet haben. Wie kann man die Verwaltung straffen? Wie spart man bei den Häuptlingen, nicht bei den Indianern?

Das klingt eher allgemein.

Konkret müssen sich die PDS-Senatoren gegenseitig stützen und nicht einander gegenseitig die Beine weghauen. Harald Wolf hat gleich nach dem Urteil erklärt, für die Berliner Symphoniker gebe es nun keine Rettung mehr, obwohl Thomas Flierl, unser Kultursenator, sich für den Erhalt ausgesprochen hat. Das war sehr überflüssig.

Es gibt auch Erfolge: Der PDS-Wirtschaftssenator verkündet neue Unternehmensansiedlungen.

Das ist erfreulich. Aber die zentrale Frage für die PDS ist die Sozialpolitik. Daran wird die PDS gemessen. Darum ist das Argument „Wer eine Sozialleistung wie etwa das Blindengeld erhalten will, muss beim Kleidergeld für Sozialhilfeempfänger kürzen“ ein sozialpolitisches Armutszeugnis.

Der Senat schimpft auf die Opposition: Sie hätte nicht klagen dürfen und sei nun schuld am neuen Spardruck.

Das ist ein sehr ambivalentes Argument. Einerseits – und das wussten auch die Grünen – hat man dem Finanzsenator mit dem Urteil ein Instrument an die Hand gegeben, den Abbau sozialer Infrastruktur zu beschleunigen. Andererseits: Wenn die PDS sagt: „Wir haben nicht geklagt und jahrelang eigentlich verfassungswidrige Haushalte geduldet“, ist das auch ein Eingeständnis von Mitschuld an diesem Zustand.

Der Senat setzt jetzt alle Hoffnung in ein anders Urteil: Das Bundesverfassungsgericht soll Berlin bei der Entschuldung helfen.

Die Hoffnung auf Erlösung aus Karlsruhe ist gefährlich. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht günstig entscheiden sollte, wird Berlin ja noch nicht von einem Tag auf den anderen erleichtert. Der Spardruck wird also bleiben. Die These „Wir sparen jetzt und gewinnen Spielräume für die Zukunft“ ist nach dem Urteil noch fragwürdiger geworden. Auch wenn Berlin sich völlig nackt macht, wird der Bund immer noch rufen: Ausziehen!

INTERVIEW: ROBIN ALEXANDER