Wo Macht sich auflöst

Das Bundeskanzleramt wird mit dem Deutschen Architekturpreis 2003 ausgezeichnet. Axel Schultes und Charlotte Frank werden für ein Haus geehrt, das so recht niemand versteht, nicht mal sein Nutzer

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Manche sagen, es sei Ansichtssache: Tagsüber, wenn das neue Bundeskanzleramt in der Sonne steht, kommt es wie ein weißer schwerer Tanker daher, so gar nicht leicht, wie sein Architekt es gedeutet hat. Dagegen abends, wenn die untergehende Sonne von Westen durch das Haus flutet – oder gar bei Nacht, wenn das beleuchtete Gebäude wie ein lichter Glaswürfel erscheint – sei die Masse erträglicher, heißt es. Ein Haus für vielerlei und zudem kritische Ansichten?

Wohl kaum. Das neue Bundeskanzleramt im Spreebogen von den Berliner Architekten Axel Schultes, Charlotte Frank und Christoph Witt wird heute mit dem Deutschen Architekturpreis 2003 ausgezeichnet. Und Schultes sowie Frank erhalten die Ehrung dafür, ein eindeutiges Gebäude gebaut zu haben – keines, was morgens gut, mittags komisch und abends Licht durchflutet aussieht, sondern das klar und streng in seinen Proportionen, Funktionen und Aussagen sowie leicht und auch verspielt in der architektonischen Handschrift und den Details gestaltet ist. Tags und nachts.

Seit der Eröffnung am 2. Mai 2001 durch Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich der Bau nicht gewandelt. Wie ein Monument steht er dem Reichstag gegenüber. Das zentrale, 30 Meter hohe „Leitungsgebäude“ mit Sitzungssälen und Kanzlerbüro demonstriert Stärke als Gegengewicht zum Parlament. Schultes hat immer betont, dass die Wahrheit des Baus in seiner Ikonografie und Funktion liege und ein Symbol für die Realität von demokratischer Macht bilde.

Dass die Republik genau dies nicht wollte, sondern sich nach der verklausulierten Bonner Bescheidenheit à la „Kreissparkasse“ sehnte, hat man Schultes und Frank am 2. Mai 2001 gleich mehrfach zu verstehen gegeben. Das 465 Millionen Mark teure Kanzleramt, das so ausladend den Spreebogen besetzt, wurde mit Albert Speers Reichskanzlei gleichgesetzt. Als Herrschaftsarchitektur der Ära Kohl hat man es bezeichnet, was beinahe noch wie ein Lob klang. Axel Schultes, damals zudem gepeinigt von einem neuen Mieter – Kanzler Schröder –, der mit den Worten: „Haben Sie es nicht ein Nummer kleiner“, in das Gebäude einzog, verlor, weil „angefressen“, zeitweise die Nerven. Speer, Macht und Monument waren zu viel.

Lange hallte das vernichtende Echo nach. Schultes, der das Kunstmuseum in Bonn (1992), das Ministerium für Wirtschaft und Technologie in Wiesbaden (1992) und das Haus Knauthe am Leipziger Platz (2001) gebaut hat, entschuldigt sich manchmal bis heute dafür, ein Haus gebaut und eine bis dato nicht existierende Ikonografie eines Kanzleramtes gesucht und entwickelt zu haben, die zudem in einer städtebaulich unfertigen Landschaft herumsteht. Dass der Bau die Schwere leicht macht und die Pathosformeln der Macht – etwa die Säulen, den Porikus oder seine Masse – kritisch reflektiert, muss er bis heute erzählen: Die frei stehenden Säulen liefen doch aus dem Haus heraus, die Eingangsfront gleiche einer offenen Pforte, und das organisch geschwungene Innere und die äußere Masse lösten sich in „Wände aus Licht“ auf, sagt Schultes. Warum will das denn keiner hören?

Es mag den Architekten freuen, dass sein umstrittenes Kanzleramt nun preisgekrönt wird. Die bauliche Chiffre für die heutige bundesrepublikanische Kanzlermacht indessen wird – trotz besserer Architektur und konsequenter Umsetzung geschichtspolitischer Symbolik – im Schatten des Reichstags bleiben. Er ist der Star, seine Kuppel die Attraktion Nummer eins und das Parlament das leichter zugängliche Organ. Und das ist gut so.

Das Kanzleramt drüben dagegen will ein wenig suspekt bleiben, will Respekt einflößen und muss die Rolle der Macht und Repräsentanz im Regierungsviertel spielen. Es will ernst genommen werden – und das auf eine Weise, bei der Macht und Respekt hinterfragt, ja sogar aufgelöst werden. Das ist anstrengend und schwierig – für manche ein wenig leichter am Abend vielleicht. Aber es ist gut geworden.