Deutliches Scheitern der Misstrauensanträge

Sogar ein fraktionsloser Oppositionsabgeordneter stimmt für Wowereit. Der schimpft über die „Showveranstaltung“. In der PDS gibt es Streit über Urteil des Verfassungsgerichts. Lötzsch: „Jetzt über Kürzungen zu reden ist Denkfehler“

Es war die kürzeste Sitzung in der Geschichte des Abgeordnetenhauses. Um 15.02 Uhr eröffnete Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) mit kleiner Verspätung die Tagesordnung. Um 15.06 Uhr waren die Druckssachen „21/89 aus 15“ und „21/90 aus 15“ schon erledigt. Die aus SPD und PDS bestehende Mehrheit lehnte die Misstrauensanträge gegen den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und seinen Finanzsenator Thilo Sarrazin (beide SPD) ab. Einmütig. Wowereit erhielt sogar eine Stimme von den Oppositionsbänken. Wolfgang Jungnickel, der mit 75 Jahren älteste aller Abgeordneten, der aus Protest gegen Jürgen Möllemanns antisemitischen Flyer vor einem Jahr die FDP-Fraktion verließ, stimmte für den Regierenden, aber gegen seinen Finanzsenator.

Nach der Abstimmung bemühten sich alle Fraktionen, einen Erfolg zu verbuchen: „Das war der letzte Schuss vor den Bug. Das Wasser spritze schon bis auf die Brücke. Beim nächsten Schuss wird das rot-rote Schiffchen versenkt“, erklärte der Fraktionsvorsitzende der FDP, Martin Lindner. Die beiden anderen Oppositionsfraktionen gaben sich weniger triumphierend. Der CDU-Vorsitzende Nicolas Zimmer rang um Erklärungen, warum seine Abgeordneten nicht komplett anwesend waren. In der Tat fehlten Axel Rabbach und Uwe Schmidt. Rabbach befindet sich zur Zeit auf einer längeren Reise in Asien. Schmidt fehlte „aus beruflichen Gründen“, wusste die CDU-Fraktion gestern, konnte das aber nicht näher erläutern.

Die fehlenden CDUler stützen den Vorwurf, den der Regierende Bürgermeister auch gestern wieder erhob: Die Misstrauensanträge seien „eine reine Showveranstaltung“. Hätte die CDU tatsächlich an die Möglichkeit eines Erfolges geglaubt, hätte Rabbach wohl die Mühe auf sich genommen, seine Fernreise zu unterbrechen. Deutlich scholt der Regierende Lindner: Der FDP-Politiker verhalte sich „verantwortunglos“ und veranstalte „einen Klamauk“.

Bei den Grünen, die komplett anwesend waren und geschlossen gegen Wowereit stimmten, ist die Diskussion um den Umgang mit dem Verfassungsgerichtsurteil inzwischen weitergegangen. „Ich halte nichts davon, sofort wieder mit einem neuen Gang zum Verfassungsgericht zu wedeln“, erklärte Fraktionschef Volker Ratzmann. Man solle vielmehr abwarten, in welcher Form der rot-rote Senat seinen Haushaltsplan für 2004/2005 modifiziere. Bisher hat nur Lindner angekündigt, auch gegen den neuen Etat klagen zu wollen. Die Diskussion in der CDU ist noch unentschieden.

In die öffentliche Auslegung des Richterworts hat sich nun auch Harald Wolf (PDS) eingeschaltet. Der Wirtschaftssenator erklärte vor Journalisten, das Urteil bedeute nicht, „alle Ausgaben hemmungslos nach unten zu fahren“. Man müsse sich innerhalb der rot-roten Koaltion vielmehr auf einen „Korridor zwischen den Parametern Rechtssicherheit und soziale Balance“ verständigen. „Fünf bis zehn Prozent des Haushaltes“, so Wolf, stünden nun in der Diskussion. Hoffnung setzt der PDS-Senator in das Bundesverfassungsgericht: „Erfolg oder Misserfolg des Senats misst sich daran, ob wir in Karlsruhe erfolgreich sind.“

In der PDS ist der Umgang der Führung mit dem Verfassungsgerichtsurteil auf Kritik gestoßen: „Einige von uns haben sofort über Kürzungen im Kultur- und Sozialbereich geredet. Das ist ein Denkfehler“, erklärte die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch im Interview mit der taz. Lötzsch kritisierte weiter: „Die These, wir sparen und gewinnen Spielräume für die Zukunft, ist nach dem Urteil noch fragwürdiger geworden.“

ROBIN ALEXANDER

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