schwabinger krawall: gesundheit von MICHAEL SAILER
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Aus der Buchhandlung „Hilwek und Schide“ dringen merkwürdige Geräusche: „Rröpf! Asch! Schlürr! Pfoch!“ Durch die Scheibe sieht man ein gewaltiges Tuch, das von schweren Windstößen erschüttert wird. „Pfröff!“ – „Das klingt aber gar nicht gut, Herr Hartnagel“, sagt die Buchhändlerin zu dem älteren Herrn, der jede seiner geräuschvollen Erschütterungen pantomimisch kommentiert, indem er mit dem Regenschirm wild in der Gegend herumfuchtelt. „Das ist hier kein Kriterium! Es geht dabei nicht um Klangqualität, sondern – … Pschüsch! Schruff!“

In sicherer Entfernung steht ein jüngerer Mann, der Herrn Hartnagel aufmerksam betrachtet. „Wenn ich fragen darf: Rauchen Sie?“ – „Nur wenn man mich anzündet! Pläsch!“ Ihm scheine hier, sagt der jüngere Mann, eine Nebenhöhlengeschichte vorzuliegen. „Das kommt, wenn man beim Rauchen durch die Nase inhaliert. Gestatten: Doktor Ziebland, Arzt.“ – „Das ist nur ein Schnupfen, der geht einen Arzt nichts an!“

Herr Hartnagel wedelt mit dem Taschentuch vor seinem Gesicht herum, dabei fällt ihm der Regenschirm aus der Hand und reißt einen Stapel Bücher mit sich.

„Nein, nein. Das ist die japanische Grippe“, erklärt ein weiterer Kunde. „Da kommen die neuen Erreger immer her. Diese Leute vertragen übrigens auch kein Bier.“ – „Ich auch nicht!“, bellt Herr Hartnagel, will sich nach seinem Schirm bücken und verliert dabei das Taschentuch.

„Von Hygiene haben Sie noch nie etwas gehört“, schrillt eine etwa siebzigjährige Frau, die aussieht wie ein hundertjähriger Faschingsprinz. „Wenn wir alle krank werden, mache ich Sie regresspflichtig!“

Hinter dem Regal mit den Insel-Bändchen tritt ein dickbebrillter Jüngling hervor. „Lassen Sie doch den armen Mann in Ruhe, der hat genug zu leiden“, bittet er und blättert weiter. „Pfüsch!“, macht die Buchhändlerin, und: „Ach herrje!“

„Sie sind verpflichtet, sich sofort krankzumelden!“, keift die alte Dame. „Das ist ja der reinste Infektionsherd hier!“ – „Tschaff!“, ertönt es hinter dem Insel-Regal. „Dann – krosch! – gehen Sie doch!“, ereifert sich Herr Hartnagel. „Niemand zwingt Sie, hier auszuharren!“ – „Soll man sich den ganzen Winter zu Hause einsperren, weil draußen lauter Verrückte herumlaufen und alle anstecken?“, keift die Dame zurück. „Ich bestehe auf meinem Recht einzukaufen!“ Sie wühlt eine Packung Papiertücher aus ihrer Manteltasche. „Hösch! Ja glauben Sie, ich mache das mit Absicht?“, tobt Herr Hartnagel. „Natürlich! Sonst würden Sie es bleiben lassen. Jeder trägt die Verantwortung für sein eigenes Karma!“ Crescendo von wildem Stimmengewirr: „Was sind Sie denn! Japaner! Sauerei! Bazillenschleuder! Selber! Brunzkachel! Unverschämtheit! Raus hier!“

Der Postbote betritt den Laden, verharrt angesichts des kollektiven Hustens, Niesens, Bellens, Plärrens und Blökens einen Moment im Eingang und sagt dann mit nasalem Krächzen: „Euch hat’s ja auch gut erwischt! Ich trage das schon wochenlang mit mir herum.“

Über den weiteren Lebensweg des Postboten, der sich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus berufsunfähig schreiben lässt, ist wenig bekannt.