thomas gottschalk im parlament?
: What happened to the Bundestag?

Warum darf Thomas Gottschalk nicht im Bundestag reden? Diesen Publicitycoup hatte er bei „Wetten, dass …?“ eingefädelt. Aber die Politiker wollen ihn nicht.

Thomas Gottschalk im Bundestag – eines der großen, überflüssigen Themen unserer von der Boulevardisierung bedrohten Welt? Oh ja. Gerade deshalb muss man sich dem Grauen stellen.

Selbstverständlich will kein vernünftiger Mensch den Moderator der TV-Unterhaltungssendung „Wetten, dass …?“ im Bundestag haben. Erstens war es beleidigend plump, wie Gottschalk seinen jüngsten Publicitycoup unter Missbrauch eines ihm intellektuell weit überlegenen Gastes (DJ Ötzi) als „Saalwette“ in die Welt brachte. Zweitens erwacht in solchen Momenten auch im intellektuell entschärftesten Fernsehkonsumenten die Ehrfurcht vor dem „Existenziellen“ (Norbert Blüm) der Institution Bundestag.

Man sollte sich allerdings argumentativ nicht allein auf die Würde des Staates berufen. Oder, wie Bundestagspräsident Thierse, auf die Geschäftsordnung, nach der nur Bundestagsmitglieder reden dürfen. Es gibt Ausnahmen, und es gab bekanntlich auch schon Gastredner. Etwa die ausländischen Staatsführer Bush (Exmanager der Texas Rangers) und Putin (Exmanager des KGB). Auch ist nicht die Frage, ob der sich selbst als „Bürger“ bezeichnende Wahlkalifornier Gottschalk tatsächlich „etwas zu sagen hat“. Das Gegenteil ist längst bewiesen. Gegen den bisweilen respektlos charmanten, aber auf Dauer nervtötend ignoranten Populisten G. ist Arnold Schwarzenegger ein Thinktank.

Die Reaktion der Politiker ist tendenziell richtig: Es muss einen Raum geben, der sich nicht ausschließlich den Bedürfnissen der Unterhaltung und des sie determinierenden Mediums unterwirft. Insofern wäre ein Gastauftritt von Gottschalk („What happenend to Rock ’n’ Roll?“) von hoher symbolischer Bedeutung. Als Eingeständnis der totalen Unterwerfung der Politik unter das Fernsehen. Das hat sich faktisch längst vollzogen, nur wurde eben bisher nur inoffiziell eine Kapitulationserklärung unterzeichnet. Vom auch dazu nicht ermächtigten Bundestagsabgeordneten Friedrich Merz (CDU) gegenüber Sabine Christiansen.

Der Ausschluss von Thomas Gottschalk kann also nur ein erster Schritt sein. In einem zweiten darf der gemeine deutsche Politiker („Bild, Bams, Glotze“) anfangen, sich selbst wieder ernst zu nehmen. Die Frage ist nur, ob die Politiker gegen Gottschalk sind, weil sie das einsehen. Oder ob sie dagegen sind, weil oder solange diese Position mehrheitsfähig ist. Oder letztlich, das ist ein schlimmer Verdacht: weil es ihnen richtig schöne Schlagzeilen bringt. PETER UNFRIED