Technik gegen Technik

Die „Matrix“-Trilogie scheiterte mit dem Versuch, der Informationsgesellschaft ihren lange erwarteten Helden zu geben. Und ist damit zugleich Höhepunkt und Ende des Cyberpunks

von TILMAN BAUMGÄRTEL

Der letzte Teil der „Matrix“-Trilogie ist bei der Kritik nahezu einhellig durchgefallen. Die New York Times ging in ihrer vernichtenden Rezension sogar so weit, zu behaupten, dass „Matrix Revolutions“ sogar den ersten, einst hoch gelobten „Matrix“-Film im Nachhinein in einem schlechteren Licht erschienen ließe. In der Tat ist es den regieführenden Wachowski-Brüdern nicht gelungen, mit den faszinierenden Ideen des ersten Teils etwas anderes anzufangen, als sie zum Ausgangspunkt der im Actionkino handelsüblichen Schießereien und Schlachten zu machen. Doch die berechtigte Kritik übersieht, dass die „Matrix“-Filme immerhin an einem ebenso ungewöhnlichen wie überfälligen Unterfangen gescheitert sind: Geschichten über die Technologie, die das Leben immer stärker bestimmt, mit den Mitteln des Kinos zu erzählen.

Die Technik-Rebellen

Damit steht „Matrix“ in einer Tradition, die in den meisten Rezensionen des Films meist nur en passant genannt wird: der Folklore der Hackerszene und des Science-Fiction-Genre Cyberpunks. Dabei könnte man die „Matrix“-Trilogie mit gutem Grund als Höhepunkt und gleichzeitigen Abschluss der Cyberpunk-Mode betrachten. Dass aus deren Motiven einer der größten Publikumserfolge der letzten Jahre gestrickt werden konnte, ist verblüffend. Denn eigentlich schienen sich die Ästhetik und die Ideen des Cyberpunks überlebt zu haben.

Die Cyberpunk-Autoren begannen Anfang der 80er-Jahre zu schreiben, als die Computerisierung und Vernetzung der westlichen Alltagswelt in großem Stil begann. Ihre Bücher versuchen, diesen Prozess mit einer eigenen Mythologie auszustatten. Sie wimmeln von markanten Figuren, die einerseits heroisch, andererseits hundertprozentig Computertechnik-affin sind: genialische Programmierer, Superhacker, Cowboys auf dem Datenhighway – Identifikationsfiguren für die im Entstehen inbegriffene, postindustrielle Gesellschaft, die sich in vernetzten Welten in ihrer eigenen Gegenkultur eingerichtet hatte.

Cyberpunk-Autor und Wortführer William Gibson hat in seinen Büchern für dieses Datenuniversum den Begriff „Cyberspace“ geprägt; die immaterielle Online-Welt der „Matrix“ – auch dieses Wort taucht in den Cyberpunk-Romanen immer wieder auf – spielt in seinen Romanen wie „Neuromancer“ oder „Mona Lisa Overdrive“ die eigentliche Hauptrolle. Sogar die Datensteckdose im Nacken, mit denen sich die Kämpfer in die Matrix einloggen, kommt schon in seiner Kurzgeschichte „Johnny Mnemonic“ vor. In deren (gefloppten) Verfilmung von Künstler Robert Longo spielte Keanu Reeves, heute Darsteller des „Matrix“-Helden Neo, zum ersten Mal einen „renegate programmer“, einen Cyberpunk – eine Reverenz an die Hackerszene.

Hacker sind nicht nur die Avantgarde der Computernutzer, sie sind auch deren Opposition. In den USA gab es an technischen Universitäten seit den 60er-Jahren eine Kaste fanatischer Computer-User, die sich selbst als „Hacker“ bezeichneten. Zu einem sozialen Phänomen von relevantem Ausmaß wurden sie Anfang der 80er-Jahre. Zu dieser Zeit kamen die ersten PCs auf den Markt, die man bedienen konnte, ohne Informatik studiert zu haben, und die sich normale Leute leisten konnten – nicht nur „das System“, also Staat und Großunternehmen. In den USA und Europa entwickelte sich eine rege Computer-Gegenkultur, die die technologischen Machtmittel der „anderen Seite“ plötzlich in ihren Händen wiederfand. Aus diesem Urerlebnis speist sich der Anti-Establishment-Impuls der frühen Hacker-Kultur.

„The street finds it’s own use for things“, schrieb Gibson, und die Hacker entdeckten Benutzer-Methoden, die nicht in der Gebrauchsanweisung standen. Auch Neo und seine Mitkämpfer in „Matrix“ sind Hacker. Sie bedienen sich der Technologie, um gegen die Technologie zu kämpfen. Sie sind keine Ludditen, keine Maschinenstürmer, aber sie wehren sich dagegen, von Technologie beherrscht zu werden. Sie dringen in ein technisches System ein und versuchen, es nach ihren Vorstellungen umzugestalten.

Mit Technologie rebellisch sein, nicht gegen sie – das ist der eigentliche Plot der „Matrix“-Trilogie. Neos Mitstreiter Morpheus spricht von seiner „hohen Affinität zum Ungehorsam“. Zwar richtet sich der Aufstand der Untergrundarmeen gegen die „Maschinen“, die die Menschheit unterjochen und in einem computersimulierten Nirvana in Dauertrance halten, um sie als Energiequelle zu nutzen. Doch um sich gegen die Maschinen zu wehren, die allesamt wie Schöpfungen aus der Zeit der industriellen Revolution aussehen, bedienen sich die „Matrix“-Helden selbst avancierter Technologie.

War im ersten Teil der „Matrix“ noch undifferenziert vom „Kampf gegen die Maschinen“ die Rede, geht es in einer der etwas langatmigen philosophischen Debatten in „Matrix: Reloaded“ um das komplexe Kontrollverhältnis zwischen Mensch und Maschine. Die Maschinen versuchen zwar, die Menschheit zu vernichten. Aber die unterirdische Menschenstadt Zion kann auch nur wegen der Maschinen überleben, die Trinkwasser und Licht liefern. Am Ende schließt Neo tatsächlich Frieden mit den Maschinen, der Krieg ist vorbei.

Blick ins Rechnerinnere

Hollywood hat immer wieder versucht, den Hackermythos für das Kino aufzubereiten, bisher allerdings ohne Erfolg. In Filmen wie „RoboCop“ und „Terminator“ wurden zwar sowohl die Themen und das apokalyptische Weltbild der Cyberpunks als auch ihr pessimistischer Erzählstil übernommen, doch erst „Matrix“ ist es gelungen, der Informationsgesellschaft einen Filmhelden zu geben: Neo. Er ist (wie der Cowboy im Western, wie Luis Trenker im Bergfilm) eine Identifikationsfigur für sein Publikum – wenn auch keine mit Bezug auf eine Nationalmythologie, sondern eine für die globalisierte, vernetzte Welt. Nicht aus Zufall wird er daher von einem Halbhawaiianer gespielt, nicht aus Zufall sind unter den Einwohnern Zions für einen US-Actionfilm überdurchschnittlich viele „persons of color“.

Entlang der Leidensgeschichte Neos erzählt „Matrix“ von dem Versuch, ein technisches System zu hacken und es nach den eigenen Regeln funktionieren zu lassen. Man könnte die Auseinandersetzung zwischen Neo und seinem erzbösen Gegner Agent Smith in der Matrix auch erzählen, indem man ein paar Typen zeigt, die vor dem Computer sitzen und auf die Tastatur einhämmern. Das wäre aber sehr langweilig. Die Autoren der Cyberpunk-Literatur antworteten auf dieses Dilemma, indem sie Abenteuer und Dramen erzählten, die larger than life waren.

Auch „Matrix“ ist der groß angelegte Versuch, die Vorgänge innerhalb des Computers und des Netzes sichtbar und damit kinotauglich zu machen. Denn diese Vorgänge sind eigentlich so abstrakt, dass sie sich der Darstellung im Film entziehen. Das Kino braucht aber visuelle, abfilmbare Vorgänge, auf die es seine Kamera richten kann. „Matrix“ wagt den Kompromiss, Vorgänge im Inneren des vernetzen Rechners mit den Bildern des Actionkinos zu erzählen. Der Einbruch in die „Source“, die Quelle, mit dem „Matrix Reloaded“ endet, ist der mit Designergewalt und mythologischen Obertönen verbrämte Hack eines Server-Computers.

Die Vorgänge im Inneren der Technologie in Kinogeschichten zu übersetzen, ist ein mutiges und überfälliges Vorhaben. Die große Enttäuschung an „Matrix“ ist, dass die Gebrüder Wachowski in den beiden Fortsetzungen dabei auf stereotype Bilder zurückgreifen: die müde, christliche Symbolik; die brüllenden, ballernden Muskelpakete in ihren Kampfmaschinen; das letzte, große Duell zwischen Gut und Böse. Dies alles sieht aus, als sei es per copy & paste umstandslos aus anderen Science-Fiction-Actionfilmen zusammengesampelt worden. Das entspricht zwar in gewisser Weise der digitalen Thematik des Films, ist aber im Fall von „Matrix Revolutions“ auf die Dauer leider nur schwer zu ertragen.