Droge Zeitung

Anmerkungen eines Abhängigen. Von Michael Jürgs

Ich bin süchtig. Die Drogen, die ich täglich zu mir nehme, werden entweder direkt an die Haustür geliefert oder unter die Fußmatte gelegt, seit Jahren und ohne bei meinen Nachbarn Verdacht zu erregen. Andere wiederum kaufe ich an Werktagen frühmorgens bei einem Dealer am Ende der Straße oder sonntags bei einem Zwischenhändler unter der Brücke. Die Ware wird vertrieben unter Tarnnamen wie Süddeutsche und Rundschau und Berliner und Tagesspiegel und Herald Tribune und Frankfurter und Welt und taz und Abendblatt.

So subjektiv könnte ich einen Artikel beginnen, der sich objektiv beschäftigen müsste mit dem eigentlich mehr nach Evangelischer Akademie Tutzing klingenden Thema „Journalismus – Segen oder Fluch?“ (oder so ähnlich) – und mit dem Thema, warum tägliche Journale zu den Grundlagen einer Demokratie gehören und ohne Pressefreiheit die Freiheit, die wir meinen, keine Freiheit ist.

Die gilt für alle Zeitungen, ohne Ansehen und IQ-Tiefe der sie produzierenden Personen. Selbst dann, wenn es sich nur um bedruckte Papierbündel handelt, selbst dann, wenn deren Macher nur im Dunstkreis ihrer Stammtische bekannt sind, selbst wenn anhand ihrer Zeilen leicht begründbar ist, warum sie in diesem Text keine weitere Zeile mehr wert sind. Doch nicht jeder Schlachtgesang, mit dem im Namen der Freiheit zu Felde gezogen wird, ist eine Hymne auf die Freiheit. Mancher Choral gegen drohende Zensur eignet sich eher als Partitur für Titanic (übrigens meine Lieblingsdroge unter den Magazinen). In einem merkwürdigen Chor der vom Caroline-Urteil des Europäischen Gerichtshofes zutiefst in ihrem journalistischen Selbstverständnis Getroffenen standen beim Protestkonzert tapfere Ritter und hochminnige Frauen, allesamt Mitglieder berühmter publizistischer Liedertafelrunden, Hand in Hand mit abgebrühten, ungewaschenen Gassenhauern, erklommen Solisten, die investigativen Journalismus bisher nur aus anderen Blättern kannten, die höchsten Tonlagen und waren sich einig mit bekannten Bassisten, ihren im Hintergrund zustimmend brummenden Verlegern, ja sogar mit den Startenören verschiedener Fernsehsender, die ihnen sonst gern die Noten vom Pult klauen.

Vielleicht darüber später mehr. Vielleicht lieber nicht. Ironie kommt beim Leser nämlich nicht an (ein Lehrsatz von Henri Nannen). Zunächst will ich den Einstieg in diesen Text – insgesamt umfasst der, Pardon, 19.000 Anschläge! – einmal variieren, sodass noch niemand gähnt und zu spannenderen Seiten der taz weiterblättert, die es ohne Zweifel auch in dieser Ausgabe geben wird.

Zeitungen.

Ich könnte zum Beispiel diesen Artikel über die frisch gedruckten Verführer, die man nicht nur liest, sondern in die man jeden Morgen eintaucht „wie in ein heißes Vollbad“ (Tom Wolfe), auch überirdisch so beginnen:

Als Gott im Rahmen irdischer Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen die Spezies der Journalisten schuf, war an deren Anfang nicht mehr das Wort – diesen nicht zu schlagenden genialen Einstieg, Magie des ersten Satzes, hatte der Schöpfer allen Seins bereits hinter sich, und siehe: Noch war es gut so –, sondern eine andere göttlich Idee mit Langzeitwirkung. Weil er bereits allwissend war, wusste der Allmächtige, dass die Menschen seit dem Sündenfall von Adam und Eva (was für eine tolle Story, die hätten sich weder Stern noch Bild entgehen lassen dürfen) nichts so sehr interessieren würde wie das Schicksal anderer Menschen.

Dafür brauchte es Übermittler von neuen Geschichten, weniger die langbärtigen Vorleser der schon bekannten Zehn Gebote, basierend auf der Kenntnis des Alten Testaments (okay, lieber Gott, ich weiß, ein gewisser Prozentsatz von Blöden ist auch ein Merkmal deiner Schöpfungsidee, selig sind die Armen im Geiste, aber das ist eine andere Geschichte, die nicht hierher passt. Oder gar doch?). An deren Anfang stand nicht das Wort, sondern sprudelten Wörter.

Anfangs reichten für diesen Ansatz, den man zweitausend Jahre später „new journalism“ nennen sollte, ein paar wenige Erzähler, denn so viel war noch nicht los auf der Erde jenseits von Eden. Die frühen Journalisten waren Freelancer, im Hauptberuf jedoch Propheten und Wanderprediger, denn die kamen rum und hatten was erlebt, wovon sie dem verblüfft lauschenden Volk kündeten. Schließlich erschienen in der ersten Medienlandschaft die Apostel, die Besten der Besten. Deren Chef, von ihnen Meister genannt, hieß Jesus Christus. Er war der Erste, der ein Recht auf freie Meinung in Anspruch nahm, der das Vorgeschriebene kritisch hinterfragte, nichts als die Wahrheit verlangte, so wahr ihm Gottvater helfe, und prompt von den Besatzern, den Römern und deren Kollaborateuren, mit Berufsverbot bestraft wurde.

Da er sich den Mund aber nicht verbieten ließ und nichts widerrief, wurde er auf andere Weise zum Schweigen gebracht – zum Tode verurteilt. Seine radikalen Einwürfe, zu denen die Bergpredigt zählt, ein beeindruckendes Zeugnis geschliffener Sprache mit einer klaren Botschaft, sowie die Reaktionen der Regierenden auf seine gesprochenen, allerdings nicht groß recherchierten Leitartikel können mittlerweile bei Google nachgelesen werden. Ich muss sie hier nicht noch einmal auflisten. Sie wurden damals nach seinem Tod verbreitet durch Mund-zu-Ohr-Beatmung, nacherzählt von seinen Jüngern und dann von den damaligen Edelfedern Markus, Johannes, Paulus usw. aufgeschrieben. Ihre Notizen enthielten brisantes Material. Aufgrund stattfindender Christenverfolgung durch die Herrschenden, die um ihre irdische Macht fürchteten, waren die Aufzeichnungen bis etwa 90 nach Christus nur einem kleinen Kreis bekannt, Mönche kopierten sie handschriftlich. Ein mühsames Geschäft. Erst Jahrhunderte später, nach der genialen Erfindung von Buchdrucker Gutenberg, Urvater aller Zeitungen, wurden sie veröffentlicht, in dem Sammelband Bibel, einem Spiegel der abgelaufenen Ereignisse.

So weit hergeholt ist der Vergleich nicht. Der erste Chefredakteur benutzte für seine gesprochenen Editorials die Form von Gleichnissen, um sie den normalen Menschen verständlich zu machen. Er begnügte sich nicht mit abstrakten Formulierungen im Kreise von Intellektuellen, den Pharisäern. Die damals gefundene journalistische Grundregel, ein Publikum um Himmels willen nicht zu langweilen, hat bis heute Gültigkeit. Wer die Kirche leer predigt, bekommt die Quittung am Kiosk. Noch immer gilt, was schon Christus wusste: Deine Rede sei ja, ja und nein, nein, alles, was dazwischenliegt, ist von Übel.

Da liegen heute viele.

Journalisten müssen lästig sein. Gern über den Tag hinaus, aber zunächst einmal täglich. So fangen sie ihr Berufsleben am besten an. Da es diesseits von Gottes Wort andere Möglichkeiten gab und gibt, die Welt zu erklären oder sie gar wortgewaltig zu ändern, reichte es irgendwann nicht mehr, öffentlich zu reden. Aufklärung braucht Öffentlichkeit. Zeitungen.

So begann die Demokratie, die Freiheit, nicht nur zu denken und zu sagen, was wahr war oder wahr zu sein schien, sondern dies zu schreiben und zu drucken. In Diktaturen gibt es keine freie Presse. „All the news that fit to print“, lautet die Philosophie der New York Times, und mit diesem kühnen Bogen über die Jahrtausende hinweg scheine ich beim eigentlichen Thema angekommen zu sein.

Nun ist es ziemlich langweilig, wenn Journalisten über Journalisten schreiben, daran zweifelnd, dass die jeweils Gemeinten auch Journalisten sind. Warum gibt es kein ins Mark treffendes oder wenigstens ans Bein pinkelndes Buch über Journalisten? Weil man nicht weiß, wann man sich wieder trifft und vor allem wo und ob es einen dorthin mal verschlägt. Hin und wieder einen Hieb aufs Haupt eines dreisten Deppen oder lumpigen Lügners, na gut, aber das schreibt sich unter uns von selbst. Richtig ist sicher, aber auch das ist nicht neu, dass selbst solche Zeitgenossen als aufrechte Journalisten durchgehen, die „untereinander um Auflage und Einschaltquote konkurrieren und dabei das Private und Persönliche schonungslos entblößen, somit von einer – falsch verstandenen – Pressefreiheit profitieren, die andere zu anderen Zwecken erkämpft haben“ (Hans Werner Kilz, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung). Kilz meinte mit Entblößern viele jener Mitläufer, die unlängst nach dem oben erwähnten Caroline-Urteil – das die Privatsphäre von Prominenten schützt, deren Beitrag für die res publica eher unwesentlich ist – im Namen der Pressefreiheit auf die Barrikaden stiegen und zum ersten Mal in ihrer journalistischen Umlaufbahn Seit’ an Seit’ standen mit jenen, denen sie bisher das Wasser nicht reichen durften. Sie alle hatten das Urteil so genau nicht gelesen, denn ein Wasser abschlagender Ernst in Hannover wäre immer noch ein druckbares Foto. Allenfalls seinen kleinen August dürfte man wohl nicht in voller Länge zeigen, doch will man den sehen?

Zum Rüstzeug von Journalisten, die sich auf die Fährte begeben, wenn ihnen Fäulnisgeruch in die Nase steigt, gehören Standpunkt und Haltung und Anstand und bitte auch Selbstzweifel. Das alles lässt sich sehr wohl verbinden mit wirtschaftlichem Erfolg, ist nicht nur anspruchsvolles Programm für Minderheiten, auch wenn viele heutige Medienmacher erklären, sie würden gerne Anspruchsvolles, Wesentliches, Heiteres, Kluges, Berührendes produzieren, wenn sie nur könnten, wie sie wollten, dürften aber nicht, weil sich das nicht verkaufe. Denn das gemeine Volk, von ihnen Zielgruppe genannt, sei in seiner Mehrheit dumm und liebe die schrecklichen Vereinfacher, gedruckt oder gesendet.

So einfach ist es aber nicht.

Es bietet sich deshalb an dieser Stelle an, eine etwas genauere Definition zu versuchen – also die Sinnfrage zu beantworten, was es denn grundsätzlich noch so brauche, um eine gute Journalistin, ein guter Journalist zu werden und zu bleiben (wobei die Frage, ob man die in Zukunft noch braucht, eine ganz andere ist). Denn nur gute Journalisten können gute Zeitungen machen. Neugier, nun ja, aber neugierig sind auch Hausmeister, Steuerfahnder, Privatdetektive.

Halbbildung mit einer unersättlichen Neugier auf die andere Hälfte trifft es vielleicht eher. Aber auch nur dann, wenn es immer wieder neue andere Hälften gibt, die den Journalisten bislang fremd waren, wenn sie erforschen, was hinter einem fernen Horizont leuchtet, wenn sie begreifen, was sie dann erklären wollen. Lust auf Veränderung, denn Wechsel gehören zu den Merkmalen einer funktionierenden Demokratie. Eine unstillbare Leidenschaft für den Beruf, vergleichbar einer Liebe, die sich lebenslang zwar nicht erfüllen muss, aber deshalb nie stirbt. Sprachgefühl, Sprachwitz. Sprachgenauigkeit. Also Wissen um die Macht des Wortes, aber keine Angst davor, sie einzusetzen.

Recherche nach dem Leitsatz, zunächst Belege zu suchen, nach denen eine unerhörte Geschichte nicht stimmen kann, und erst, wenn diese Beweise zweifelsfrei nirgends zu finden sind, an den möglichen Wahrheitsgehalt der Story zu glauben und sie nun Stück für Stück tatsächlich zu belegen. „Be first but first be sure“ gehört zum Handwerk. Schreiben. Senden. Drucken. Egal, wen es trifft. Misstrauen gegenüber Obrigkeiten und gegenüber ewigen Wahrheiten. Sich von allen Parteien fernhalten. Denen Sprache leihen, die sprachlos sind.

Ende des Proseminars. Wobei sich eine Warnung für angehende Kollegen in diesem Zusammenhang anbietet: Das Studium der Zeitungswissenschaft ist tunlichst zu meiden, falls man tatsächlich Journalist werden und nicht nur theoretisch referieren will, wie man einer werden könnte. Journalismus ist ein Traumberuf – auch wenn er im Ansehen der demoskopisch erfassten Normalbevölkerung kurz vor dem des Politikers rangiert, etwa bei Staubsaugervertretern und Türstehern –, und wer diesen Beruf unbeirrbar liebt, mag sich keinen anderen vorstellen. Gute Journalisten sind wachsame Träumer. Sie haben eine Vision, gehen deshalb aber nicht zum Arzt, sondern brechen auf zur Reise ins Unbekannte, selbst dann, wenn sie bereits früh ahnen, das Ziel niemals erreichen zu können. Haben ein Vorbild, auch wenn sie sich nicht vorbildlich verhalten. Als es noch nicht selbstverständlich war, dass sich jeder Publizist nennen durfte, der seinen Kopf auf die Hand stützen konnte, ohne dabei abzurutschen, als es noch nicht schick war, dass Moralisten verachtet wurden wie Päderasten, als es noch nicht normal war, dass man frisierte Dreitagebärte mit unfrisierten Gedanken verwechselte, als es noch nicht reichte, selbst zu schreiben, was man las …

… da übten, mal für länger oder mal für immer, unvergessliche Helden den ehrenwerten Beruf des Journalisten aus: Ludwig Börne, Heinrich Heine, Karl Kraus, Lion Feuchtwanger, Carl von Ossietzky, Theodor Wolff, Egon Erwin Kisch, Theodor Fontane, Karl Marx, Maximilan Harden, Alfred Kerr, Margret Boveri, Marion Dönhoff, um wenigstens ein paar zu nennen. Von den heutigen Zeitungsmachern hat die wohl keiner mehr erlebt – sie könnten allerdings gelegentlich nachlesen, zum Beispiel über Weihnachten, wenn keine aktuellen Zeitungen erscheinen, was die Genannten zeitlos gültig über ihre Zeit und ihre Zeitgenossen geschrieben haben –, doch die Regeln, nach denen sie wirkten, von denen sie sich leiten ließen und für die sie litten, manche sogar starben, galten nach dem Krieg für Axel Springer, Henri Nannen, Karl Gerold, Werner Friedmann, Rudolf Augstein, Gerd Bucerius, die entweder Journalisten so liebten, dass sie ihnen eine sichere Herberge boten, oder gleich selbst zu journalistischen Verlegern wurden. Sie fanden damals eine Wüste vor, weil die großen deutschen Journalisten jüdischen Glaubens von den Nazis verjagt und ermordet worden waren. Ihre Prinzipien, so verschieden begründet und umstritten sie auch waren, sind die Messlatte für guten Journalismus. Der ist existenziell für eine funktionierende Demokratie.

Zeitungen: Ich bastle mir jetzt als Zwischenspiel, um nicht die letzten Leser zu verlieren, denn der Text ist lang und ein Ende nicht abzusehen, ein Blatt, das all die ersetzt, die ich täglich konsumiere als bekennender Querleser. Ich spinne also. Das dürfen Träumer. Dadurch entsteht eine höchst subjektive Mischung der besten Seiten aus Frankfurter Rundschau, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Frankfurter Allgemeiner, Süddeutscher, International Herald Tribune, taz, Die Welt und Hamburger Abendblatt. Letzteres liegt frühmorgens vor der Tür, weil ich in Hamburg lebe und weil ich eine Zeitung der Stadt brauche, die mir so etwas wie Heimat bedeutet. Eine Heimatzeitung. Das würde, falls ich in Köln leben müsste, der Stadt-Anzeiger sein oder in Stuttgart die Stuttgarter Zeitung oder in Leipzig die Volkszeitung oder in Dresden die Sächsische etc. Das Hamburger Abendblatt steht also symbolisch für Lokalzeitungen.

Die übrigens längst nicht mehr so gut sind wie ihr legendärer Ruf, weil gnadenlose Einsparmaßnahmen den wichtigen Lokaljournalismus erdrücken, denn Demokratie beginnt vor Ort, und zu viele Kotaus vor den Mächtigen in der Region – Anzeigenkunden, Politikern, Lobbyisten – machen aus Aufmüpfigen Unterwürfige, aus Tigern Bettvorleger, aus Adlern Suppenhühner. Ich leiste es mir täglich, Bild nicht zu lesen. Was nichts zu tun hat mit ihrer politischen Grundhaltung, denn die Meinung der Bild würde ich verteidigen, falls einer sie verbieten wollte, nein, die Ansichten von Bild finde ich, anders formuliert, ja auch in der Welt. Es hat mit der Machart, der anderen Grundhaltung zu tun. Herbert Riehl-Heyse, einer der Großen unserer Branche, über den Tod hinaus lebendig, hat es etwa so geschrieben: Zu den Wesensmerkmalen für einen Journalisten gehöre nicht nur Handwerk, das man erlernen kann, und ein gewisses Talent zu schreiben, was man nicht lernen kann, sondern vor allem ein Standpunkt – kein politischer, sondern ein moralischer – und so etwas Altmodisches wie Anstand.

Auch Demut im Wissen um den Hochmut, der vor dem Fall kommt. Spürnasige Journalisten balancieren auf dünnem Seil über eine dunkle Bühne, ohne Netz, unbeirrbar ihr Ziel, den Schlusstermin für die nächste Ausgabe, im Auge. Abstürze gehören zum Berufsrisiko. No risk, no fun. Hochnäsige Journalisten hängen als Marionetten auf der Bühne, an unsichtbaren Fäden gesteuert von Strippenziehern. Die Bösen sitzen aber nicht immer oben und die Guten nicht immer unten. Ein Reporter, der sich ausweint, weil keiner seine hart recherchierte Story druckt, ist auf den ersten Blick ein armes Schwein. Bei genauem Hinsehen aber manchmal nur ein feiger Hund, der per vorauseilende Selbstzensur von eigener Faulheit, Unfähigkeit, Karrieregeilheit ablenkt und lieber finstere Mächte für sein Versagen verantwortlich macht. In Wirklichkeit hat er nicht mal den Mut gehabt, in Anstand zu scheitern.

Ich mische meine Vorlieben und komme damit zu der Zeitung, die den Konsum der verschiedenen süchtig machenden Drogen vermeiden ließe. Ich benutze für meinen Cocktail alle sieben Tage der Woche, denn auch sonntags ist der Süchtige nicht frei von Entzugserscheinungen. Auf Seite eins oben links natürlich das Streiflicht der SZ. Unten rechts auf jeden Fall die Kolumne von Hans Zippert, der täglich in der Welt unten links schreibt. Die Form für die gesamte Seite eins übernehme ich von der Herald Tribune. Die Seite zwei hole ich von der Süddeutschen, weil dort die am besten recherchierten Hintergrundberichte stehen, mische aber Elemente vom Tagesspiegel hinein, der mit der Idee, Fragen an den Leser zu stellen und sie ihm zu beantworten, stilbildend war, ebenso wie mit seiner Nachrufseite, die das Leben der normalen Menschen spiegelt, bevor der Tod sie nahm.

Von der FAZ die Kultur, aber einbeziehend die Beiträge zur politischen Kultur aus dem Feuilleton der SZ. Die klassische Reportage kommt ebenfalls aus München, auf der Dritten Seite schreiben die besten Zeitungsreporter. Sportteil von der FAZ. Lokalteil von der Berliner Zeitung. Gesellschaft und Reise und Wissenschaft von der FAS. Und alle Headlines machen die Schlagzeilen-Genies von der taz.

Unter den Samstagsbeilagen fällt die Wahl schwer, weil alle Zeitungen die Stärken des Magazinjournalismus übernommen haben. Die Interviews in der SZ am Wochenende zum Beispiel sind deshalb großartig, weil die Fragenden nicht so tun, als wüssten sie schon, was der Befragte antwortet, sondern ehrlich ihre Verblüffung abdrucken, sich nicht scheuen, bei Gegenfragen auch mal alt auszusehen. Die am besten gestalteten Seiten hat die Frankfurter Rundschau. Gut die Profile des Tagesspiegel am Sonntag und die antitrendig langen Artikel der Berliner Zeitung. Und aufregend die Kontroversen in der Literarischen Welt, vom ideologischen Ballast der vorhersehbaren Grundhaltung des Hauptblatts befreit.

Die Zeitungslandschaft blüht. Typisch deutsch, dass stattdessen nur über die Zeitungskrise gejammert wird. Beides lässt Rückschlüsse zu auf den Zustand der Demokratie. Enden könnte ich erneut mit einem Zitat des geborenen Reporters Riehl-Heyse. Vielleicht werde es deshalb immer Zeitungen geben, hat er gesagt, weil „der Mensch sonst nicht wüsste, was er in den Straßenbahnen und Cafés tun und womit er seine nassen Schuhe ausstopfen könnte“.

Ich muss also nie eine Entziehungskur machen.