Showdown am Ort der Sehnsucht

Vor seinem heutigen Auftaktspiel gegen den Argentinier Guillermo Coria zeigt sich Rainer Schüttler ein wenig enttäuscht über die schlichte Präsentation des Masters Cups, ist jedoch entschlossen, den Auftritt in der Tennis-Elite gebührend zu genießen

aus Houston DORIS HENKEL

Wie nicht wenige Männer ist Rainer Schüttler der Meinung, Hüte stünden ihm nicht. Auf dem Tennisplatz ist das normalerweise kein Problem, da trägt er eine Baseballkappe mit dem Schirm nach hinten, aber schon vor dem ersten offiziellen Termin beim Masters Cup im Houstoner Westside Tennis Club schwante ihm Böses. Gegen den verlangten blauen Anzug mit Krawatte hatte er nichts, aber von den Kollegen aus der Abteilung Doppel wusste er, dass man ihm bei der Präsentation im Stadion einen Cowboyhut auf den Kopf setzen würde. Nun, wie sich wenig später herausstellte, hätte es schlimmer kommen können. Er sah mit dem Hut auf dem Kopf zwar nicht berückend aus, aber auch nicht schlechter als die sieben anderen Spieler neben ihm.

Es war, um es vorsichtig auszudrücken, eine ziemlich schmucklose Präsentation der acht besten Tennisspieler dieses Jahres vor halb leeren Rängen – auch in dieser Hinsicht kein Vergleich mit der aufwändigen Zeremonie, mit der die Chinesen vor einem Jahr in Schanghai die Spieler begrüßt hatten. Auf den ersten Blick ist dieser Masters Cup 2003 kaum von einem ganz normalen US-Turnier in Cincinnati oder Scottsdale zu unterscheiden, und Schüttlers Enttäuschung darüber ist nicht zu übersehen. Nach allem, was er über die Masters Cups der vergangenen Jahre gehört hatte, nach den Eindrücken, die er selbst staunend als Teenager in den Neunzigerjahren bei der ATP-Weltmeisterschaft in der Frankfurter Festhalle gesammelt hatte, hatte er sich auf ein ganz besonderes Turnier gefreut und nicht auf Cincinnati 2.

Da geht es ihm wie einem, der ein Jahr lang für einen Traumurlaub schuftet und dann bei der Ankunft am Ort der Sehnsucht feststellt, dass das Meer nicht blau ist, sondern grau, und dass das versprochene Luxushotel ein Mittelklasseladen ist. Ein Laden, in dem der Tennisplatz abschüssig angelegt und auf dem der frisch verlegte Boden des Centre Courts an diversen Stelle kleine, kritische Unebenheiten zeigt. Dabei ist Schüttler nicht allein in seiner Enttäuschung. Dem Kollegen Federer geht es ähnlich, auch die Spanier und Südamerikaner sind nicht glücklich mit den Bedingungen. Nur Andre Agassi und Andy Roddick sind voll des Lobes über den Schauplatz des letzten Tennisturnieres des Jahres. Was Wunder, als Amerikaner beim ersten Showdown des Jahres in den USA seit 14 Jahren.

Die Gefahr für Schüttler vor dessen erstem Gruppenspiel gegen Guillermo Coria am heutigen Dienstag (20 Uhr MEZ/live in Eurosport) besteht – abgesehen von der Stärke des flinken, kleinen Argentiniers – nun auch darin, sich nicht von einer spontanen Ablehnung um den Lohn für das mit Abstand beste Jahr seiner Karriere bringen zu lassen. Hätte ihm Anfang Januar jemand gesagt, er werde bei den Australian Open im Finale spielen und werde sich nach einer starken Saison schließlich für den Masters Cup qualifizieren, hätte er gesagt: „Der hat ja nicht alle Tassen im Schrank.“ Doch nach dem für alle überraschenden Erfolg in Melbourne wurde ihm schnell klar, dass damit die Chance seines Lebens als Tennisprofi verbunden war. Er sagt, er habe auf vieles verzichtet, um dieser Chance gerecht zu werden, er sei stolz darauf, es geschafft zu haben, und allein deshalb werde jedes Spiel in dieser Woche in Houston was Besonderes sein.

Wenn alles gut läuft, wenn er vor allem das erste Spiel gegen Coria gewinnt, dann traut er sich zu, das Halbfinale zu erreichen. Denn am Ende dieses Jahres mit den Turniersiegen in Tokio und Lyon, vor allem aber mit dem Finale in Melbourne und mit einer stabilen Bilanz bei allen vier Grand-Slam-Turnieren ist er auf den Geschmack gekommen. „Wenn das Stadion voll ist, wenn die Leute begeistert sind, wenn sie dir Standing Ovations geben – dann ist das ein unbeschreibliches Gefühl. Wer das einmal erlebt hat, der will es immer wieder haben.“

Bei aller Enttäuschung darüber, dass der Masters Cup 2003 bescheidener präsentiert wird als gewohnt und erwartet, ist sich Schüttler doch sicher, dass er all das vergessen wird, sollte er tatsächlich am Ende dieser Woche im Halbfinale oder gar im Finale spielen. Selbst auf die Gefahr hin, bei einer solchen Gelegenheit vielleicht noch mal einen der wunderbaren Hüte aufsetzen zu müssen.