Sieben knüppelharte Tage bei Opel in Bochum

Paul Fröhlich war einer der „Rädelsführer“ des Bochumer Opel-Streiks. „Es war wichtig, dass es so gelaufen ist, wie es gelaufen ist,“ sagt er

„Vorbei? Nee, das ist noch lange nicht vorbei“, sagt Paul Fröhlich. Obwohl die Bänder wieder laufen. Paul Fröhlich: 31 Jahre alt, gelernter Industriemechaniker, Bandarbeiter bei Opel und IG Metall Vertrauensmann. Sein Name taucht in den Berichten über die 140 Stunden währende Informationsveranstaltung der Bochumer Opel-Belegschaft immer wieder auf. An einen wie ihn mag man in der Chefetage bei Opel gedacht haben, wenn von „Rädelsführern“ die Rede war.

„Was ist ein Rädelsführer?“, fragt Paul Fröhlich und schiebt die Antwort gleich hinterher: „Ich habe es nachgelesen. Es ist der Kopf einer Verschwörung, Anführer von Landsknechten, gar einer kriminellen Vereinigung.“ In diese Ecke will er sich nicht stellen lassen. Er habe nur gesagt, was viele KollegInnen gedacht hätten. Daumen und Zeigefinger seiner ausgestreckten Hand zeigen eine kleine Lücke. „Ich hatte nur ein bisschen mehr Mut als sie.“

Paul Fröhlich lebt gern in Bochum, „im Ruhrgebiet sowieso“, und sein Arbeitsleben, das sei Opel. Und weil er das alles nicht einfach aufgeben will, habe er seine Angst überwunden. Er baut auf seine KollegInnen: „Wenn es hart auf hart kommt, lassen die mich nicht hängen“, sagt er. „Dann haben wir eben 9.600 RädelsführerInnen.“

Sieben knüppelharte Tage sind der Arbeitskampf gewesen, ständig unter Strom. „Die Werkstore rund um die Uhr besetzt halten, Medienarbeit, Programme auf den Bühnen organisieren, die Belegschaft mit Getränken und Essen versorgen – all das musste koordiniert werden.“ Vor allem aber der ständige Austausch in und mit der Belegschaft. „Denn da wurde nichts einfach mal von oben bestimmt.“ Die Versammlungen an den Werkstoren hätten entschieden, wie es weitergeht. Jeder Schritt des Kampfes sei demokratisch beraten und abgestimmt gewesen. Erst ab Montag hätten der Betriebsrat und die Gewerkschaft das Heft nach und nach in die Hand bekommen. „Bis dahin sind die der Musik hinterhergelaufen.“ Ein Lächeln huscht über Paul Fröhlichs Gesicht, die blauen Augen blitzen auf. „Es war wichtig, dass es so gelaufen ist, wie es gelaufen ist.“

In der General Motors-Zentrale in den USA wisse man jetzt, wo Bochum liegt. Da ist sich Paul Fröhlich sicher. Und das, was in den letzten Tagen an Solidarität gewachsen sei, könne ihnen so schnell keiner nehmen. Die Blume sei tot, aber der Duft lebe noch, habe ein griechischer Kollege gesagt. Am europaweiten Aktionstag waren 20.000 Menschen aus dem ganzen Ruhrgebiet und darüber hinaus auf der Straße. Selbst KollegInnen von Porsche, denen es nun wirklich verdammt gut gehe, seien dabei gewesen, erzählt Fröhlich. „Meine KollegInnen und ich – wir haben mit den Tränen gekämpft.“ Jetzt kämpft Paul Fröhlich vor allem mit der Müdigkeit. Das Gähnen kann er trotz Kaffee nicht mehr unterdrücken. „Ist immer so, wenn ich Frühschicht habe“, winkt er ab. Das sei normal.

Die Normalität ist auch wieder vor den Werkstoren eingekehrt. Von den vielen JournalistInnen und Fernsehteams mit ihren Kameras, Mikrofonen und Übertragungswagen ist nichts mehr zu sehen. „Die sind so schnell gegangen, wie sie gekommen sind“, sagt Paul Fröhlich. Mit vielen JournalistInnen habe man gut zusammengearbeitet. Dennoch hätte er ihnen noch vieles zu sagen und bei manchen auch einiges zurecht zu rücken. „Es hat keinen Vandalismus im Werk nach Alkoholgelagen gegeben, und arbeitswilligen KollegInnen wurde auch keine Prügel angedroht.“ Fröhlich hat seinen Geburtstag vor dem Werkstor gefeiert. „Bewusst ohne Alkohol, aber mit vielen, vielen Menschen und toller Stimmung mitten im Arbeitskampf. Unvergesslich.“

Als 16-Jähriger hat Paul Fröhlich seine Ausbildung bei Opel angefangen. „Dieser leichte Öl-Geruch im Werk II, die Geräusche in den Fertigungshallen – ich kenne hier jeden Winkel.“ Er hat hautnah mitbekommen, wie sich das Werk verändert hat. „Vor einigen Jahren hatten wir nur 160 Roboter im Werk. Jetzt sind es über 900.“ Sein Kopf ruckt von oben nach unten, von links nach rechts. So, als würde er die Bewegungen der Roboter in der Fertigung verfolgen. „Zssst, zssst, zssst – da greift ein Rad ins nächste. Wahnsinn.“

Durch immer neue Auslagerungen und Gründungen von eigenverantwortlichen GmbHs ist aber auch die Fertigungstiefe bei Opel immer geringer geworden. „Das Werk, wo von der Achse über die Kunststoffteile bis hin zum Sitz alles gefertigt wird, gibt es schon lange nicht mehr“, sagt Paul Fröhlich. Das mache es schon vor Ort schwierig, die Belegschaften zusammenzuhalten. „Eine internationale Solidarität hinzubekommen, ist noch schwieriger. Eine große Herausforderung für die Gewerkschaften“, sagt er.

Paul Fröhlich arbeitet daran. Vor drei Jahren unterstützte er den Kampf der Vauxhall-Belegschaft in Luton, Großbritannien. General Motors wollte ein Werk der britischen Tochter mit 2.000 Arbeitsplätzen schließen. Die Entlassungen konnten abgewendet werden. „Wer von uns Bochumern dabei war, hat noch heute die Buttons und neongelben Streikwesten der Briten. Einige hatten sie jetzt aus dem Schrank geholt.“ Als vor ein paar Jahren zum zweiten internationalen Automobilarbeiter-Ratschlag rund tausend KollegInnen aus ganz Europa in Bochum zusammenkamen, war Paul Fröhlich an der Vorbereitung beteiligt. „Wir müssen uns stärker vernetzen. Da sind uns die Konzerne um Längen voraus.“

Das Handy klingelt. „Verdammt wichtiges Gerät im Arbeitskampf“, sagt Paul Fröhlich und nimmt das Gespräch an. Es ist seine Freundin, Anke Fuchs. Sie will wissen, wo er bleibt. Zeit füreinander hatten sie in den letzten Tagen kaum. Auf dem Weg nach Hause winkt ein Jogger von der anderen Straßenseite herüber. „Na, die Arbeit wieder aufgenommen?“, ruft er. „Nur vorübergehend“, ruft Paul Fröhlich zurück. Die 12.000 Entlassungen müssten vom Tisch, die Werke eine Zukunft haben. „Sonst geht der Kampf erst richtig los.“

MANFRED WIECZOREK