Heide Hundertprozent

Krönungsmesse für Ministerpräsidentin Simonis: Auf dem Landesparteitag in Lübeck stehen die Delegierten tapfer zur SPD und küren ihre Heide einstimmig zur Spitzenkandidatin für die schleswig-holsteinische Landtagswahl im Februar 2005

Aus Lübeck Esther Geißlinger

Auf einer Stellwand in der Cafeteria der Lübecker Musik- und Kongresshalle lud die Initiative „Frauen – stark für Heide Simonis“ zu Vergleichen ein: „Schleswig-Holstein ohne Heide Simonis ist wie…“ Eine unbekannte Hand hat ergänzt: „…wie Eckernförde ohne Kieler Sprotten“. Obwohl das ein wenig klingt, wie der Klassiker vom Fisch und vom Fahrrad – es war wahrscheinlich ernst gemeint. Denn was auch immer Schleswig-Holstein ohne Simonis wäre, die SPD wäre ohne sie schlechter dran.

So feierten die GenossInnen auf ihrem Lübecker Landesparteitag die Ministerpräsidentin mit Standing Ovations, „Heide, Heide“-Rufen und dem besten aller möglichen Wahlergebnisse, das sie wieder – zum dritten Mal – zur Spitzenkandidatin machte: 123 von 123 gültigen Stimmen entfielen auf Simonis. Die stand im Beifallssturm, zwei große Blumensträuße im Arm, und tupfte sich mit einem zerknüllten Tempo die Augen: Soviel Jubel bringt selbst einen Politprofi aus der Fassung. Eingezogen war sie zuvor in den abgedunkelten Saal unter den Klängen einer Filmmusik: „Die Stunde des Siegers“. Inhaltlich war ihr das wohl recht, aber sie bemängelte: „Frauenpolitisch betrachtet fehlt da was.“

Dass Simonis ihren Listenplatz ganz vorne sicher hatte, stand lange fest – alle anderen MandatsträgerInnen hatten zittern müssen. Denn im neuen Kieler Landtag stehen nur noch 69 statt bisher 75 Sessel – Wahlkreise wurden anders zugeschnitten – und die SPD darf vermutlich nach der Wahl am 20. Februar 2005 prozentual weniger davon besetzen. „Die Luft wird dünner“, sagte Parteichef Claus Möller. Er hatte die undankbare Aufgabe, die Liste zusammenzustellen, die Frauen-, Jugend- und Regionalquote entsprechen und gleichzeitig dafür sorgen musste, dass immerhin die Kabinettmitglieder abgesichert sind. „Es wird Enttäuschungen geben“, ahnte Möller und mochte am Tag vor dem Lübecker Treffen Kampfabstimmungen nicht ausschließen. Aber die Partei stand in Treue fest: Der Listenvorschlag kam glatt durch.

Der Vorstand war sichtbar erleichtert, das vollbesetzte Plenum stolz auf sich, und auf der Pressebank ging das Bonmot um, die chinesische KP sei streitfreudiger als die schleswig-holsteinischen GenossInnen.

Doch das Ziel war erreicht: Die SPD präsentiert sich zu Beginn der heißeren Wahlkampfphase in trauter Einigkeit. Dass es hinter dieser Fassade gärt und viele langgediente Fraktionsmitglieder sauer sind, weil sie auf der Liste schlecht platziert wurden, war in Gesprächen am Rande allerdings deutlich zu vernehmen.

In ihrer Rede spornte Simonis ihre GenossInnen dazu an, jetzt richtig loszulegen: Zwar verliere die CDU in den Umfragen, die SPD könne aber nicht davon profitieren, da viele sozialdemokratische StammwählerInnen gar nicht erst an die Urne gingen. Simonis: „Ihr müsst ganz tapfer, mutig und gern zur SPD stehen.“ Das meinte vor allem unangenehme Diskussionen wie um die Hartz IV-Reform. Deren GegnerInnen standen draußen vor der Kongresshalle – aber der Protest fiel harmlos aus, erklärte einer der Wachmänner: „Hier in Lübeck läuft das gesittet ab.“

Simonis’ Rede wurde zwar heftig beklatscht, aber der Rhetorikpreis des Tages ging nicht an die 61-jährige Ministerpräsidentin, sondern an einen anderen Politprofi: Hans-Jochen Vogel. Der 78-jährige ehemalige SPD-Vorsitzende sprach über „die Demütigung, dass Menschen arbeiten wollen und es nicht können“, und lobte die Politik der Landes-SPD. Dann wies er auf die Bedeutung der Wahl im Februar hin: „Wenn ihr es schafft, schafft es auch Nordrhein-Westfalen, und dann gibt es eine realistische Chance auf einen rot-grünen Sieg bei der Bundestagswahl.“

Es sei „bemerkenswert, dass die SPD ihren Altvorsitzenden reaktiviert, um die eigene Partei daran zu erinnern, sich auf Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie zu besinnen“, kommentierte der CDU-Spitzenkandidat Peter Harry Carstensen. Vogels Rede sei eine „echte Standpauke“ für die Landes-SPD gewesen.

Während am Samstag das Personaltableau im Mittelpunkt stand, ging es gestern um Inhalte: Fast 250 Änderungsanträge hatten Kreis- und Ortsverbände zum Wahlprogramm eingereicht. Parteichef Möller staunte: „Das ist überraschend intensiv diskutiert worden.“ Unter anderem ging es um die feste Querung des Fehmarnbelt: Der Ortsverein Flensburg etwa lehnte das Projekt ab – die GenossInnen fürchten, dass damit der Touristenstrom an ihnen vorbeigelenkt würde. Möller hingegen erklärte: „Bei den zu erwartenden Zuwächsen im Warenverkehr brauchen wir beides – die feste Querung wie den Fährverkehr.“

Weitere Änderungswünsche betrafen den Flughafenausbau in Kiel-Holtenau und andere Verkehrsprojekte sowie soziale Fragen. „Wir werden alles prüfen und zukunftsfähig machen“, versprach Parteichef Möller, der im Übrigen auf ein gutes Wahlergebnis hofft: Die Landes-SPD könne zwar „keine aktuelle Umfrage machen, weil wir kein Geld haben“, aber traditionell lägen die Nord-GenossInnen immer fünf Prozent über den Bundestrend.

Auf ein solches Ergebnis schwor auch Parteichef Franz Müntefering die Delegierten ein. Seine Rede auf dem Parteitag gipfelte in einem Loblied auf die Ministerpräsidentin, die natürlich im fast schon notorischen Münte-Stakkato gehalten war: „Die Frau ist gut. Die ist 100 Prozent wert.“