Platons Höhle als Kino

Informatikstudenten bauen mit „Cave“ einen virtuell animierten Raum – als Zukunft der Lichtspielhäuser. Möglichkeiten und Risiken erkundet das Symposium „Mixed Reality Adventures“

Wer nicht aufpasst, hat schnell ein nettes Tierchen umgebracht. Man paddelt harmlos mit seinem Floß auf einem Teich im tropischen Urwald, lockt einen animalischen Bewohner an – etwa den dicken Florifanten. Der schwimmt dann vertrauensselig auf einen zu, plätschert noch ein wenig, geht unter und verschwindet. Man braucht zwar nur ein wenig warten, dann kann man ihn mit einem Hahnenschrei neu erwecken. Aber man hat das arme Viech halt doch auf dem Gewissen!

Da hilft es auch nicht weiter, wenn man weiß, dass all das nur in einem Rechner passiert; dass man in einem zeltähnlichen Raum mit einem Besenstil an Sensoren entlang paddelt; dass die Signale mit einer Fernbedienung an computeranimierte Wesen versendet werden. Fakt bleibt: Man hat das Tier kläglich absaufen lassen!

Kein Autor, kein Programmierer hat das so vorherbestimmt. Das narrative Element fehlt völlig in dieser computeranimierten virtuellen Umwelt, die sich auf Englisch sinnig mit „cave“ abkürzen lässt, so dass jedem humanistisch gebildeten Menschen sofort das Höhlengleichnis von Platon dazu einfällt.

Tatsächlich werfen sechs Projektoren im Lichthaus am Pier 2 nur Schatten – oder besser: Bilder – an die Leinwände, also in Echtzeit errechnete, dreidimensionale Computeranimationen, die mit einem dazu komponierten Raumklang eine in sich geschlossene Welt schaffen. Eine Landschaft mit Pflanzen, Tieren, Wellenbewegungen im Wasser, die alle einer Eigendynamik folgen. Den Besucher im Zelt umschließt diese Welt von allen Seiten, er kann seinen Standpunkt ändern, die Tiere wecken, anlocken oder vertreiben. Weil die Variablen so vielfältig sind, ist jede virtuelle Reise anders.

Informatikstudenten der Bremer Universität haben diese „Mixed Reality Cave“ entwickelt. Es sollten die Leistungsfähigkeiten der Rechner ausgelotet und eine Grenzüberschreitung zur Kunst hergestellt werden. So kann man „Cave“ sowohl wissenschaftlich wie auch ästhetisch beurteilen.

Dieser Schnittpunkt ist mit Blick auf die Zukunft der visuellen Medien so spannend, dass ausgehend vom „Cave“-Projekt ein ganzes Symposium zum Thema „Seherlebnisse“ im Kino 46 veranstaltet wird.

Ob mit „Cave“ die Zukunft des Kinos definiert wird? Immerhin war das Kino immer darum bemüht, die Zuschauer möglichst intensiv in seine Fantasiewelten zu entführen. Nach Einführung des Ton-, Farb- und 3-D-Films wird nun an der Schaffung von gänzlich virtuellen Welten gearbeitet und an Möglichkeiten zur Interaktion.

Hierbei bietet „Cave“ einige interessante Ansätze, die auch in der Gestaltung überzeugen. Die Eigenwelt wirkt autark und in sich schlüssig, die Animationen sind einfalls- und detailreich, die Tiere so geschickt gezeichnet, dass sie erstaunlich lebendig wirken. Wenn der Cyber-Tourist in die Büsche der Dschungelwelt steuert, dann sieht er jedes Blatt entsprechend der wechselnden Perspektive von oben, unten, vorne oder hinten. Durch solche Effekte bekommt man das irritierende Gefühl, tatsächlich in diesem digital geschaffenen Raum zu sein. Vielleicht ist „Cave“ ja der rudimentäre Prototyp von zukünftigen Holodecks, wie man sie aus der Fernsehserie „Raumschiff Enterprise“ kennt.

Wilfried Hippen

Alles über „Cave“ und das Symposium: www.hoehlen.net