Für Hertha ist jetzt schon Weihnachten

Ganz klar ein verschenkter Sieg, so die Analyse von Hertha-Trainer Falko Götz nach dem 0:1 gegen Arminia Bielefeld. Das größte Problem: Die Stürmer stürmen, aber sie treffen nicht. Dennoch gibt es keinen Anlass zu Panik. Noch nicht

VON JENS KIRSCHNECK

Kurz vor Schluss kulminierte das derzeitige Dilemma des Torjägers Artur Wichniarek in einer einzigen Situation. Um es mit Jürgen Wegmann zu sagen: Erst hatte er kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu. Als eine Flanke in den Bielefelder Strafraum segelte, stand Wichniarek ganz allein an der Fünfmeterlinie, warf sich und seinen Schädel mit Verve gegen das Leder und kostete vielleicht schon für den Bruchteil einer Sekunde den süßen Triumph, seiner Hertha einen Punkt gerettet zu haben.

Der Ball ging aber nicht ins Tor, sondern traf Arminias Torwart Mathias Hain. Von dort trudelte er gemächlich in Richtung rechtes Toreck und prallte gegen den Pfosten, wo er von Hain eingesammelt werden konnte.

Artur Wichniarek sah für einen kurzen Moment so aus, als sei etwas in ihm zerbrochen. Der 27-jährige Pole hat bis vor gut einem Jahr in der Schüco Arena gespielt, die damals noch Bielefelder Alm hieß, und dort kennen sie ihn ganz anders. Zweimal hintereinander war Wichniarek Torschützenkönig der Zweiten Liga, traf in der Bundesligasaison 02/03 elfmal und wurde von den Arminia-Fans ehrfürchtig „König Artur“ genannt.

Doch seit er im Sommer 2003 zur Hertha gewechselt ist, scheint ihm die Fähigkeit zum erfolgreichen Torschuss abhanden gekommen zu sein. In der vorigen Spielzeit erzielte Wichniarek ganze drei Treffer, in dieser noch keinen. Deshalb stand er zuletzt nur selten in der Anfangsformation, auch in Bielefeld kam er erst zur Halbzeit ins Spiel.

Hatte er sich in einem Interview mit der Stadionzeitung der Arminia noch als Teil eines mannschaftsübergreifenden Problems gesehen („Die anderen treffen auch nicht“), so waren Wichniarek am Samstag um 17.20 Uhr die Argumente ausgegangen. „Ich nehme die Niederlage auf meine Kappe“, sagte er und verschwand frustriert in den Katakomben.

„Was soll ich sagen“

Dabei gilt das Wort des Pechvogels noch immer: Die anderen treffen auch nicht. Ob nun Fredi Bobic, der kurz vor der Pause frei stehend neben das Tor köpfte, oder Gilberto, der in der 78. Minute aus 14 Metern das Ziel verfehlte. Wichniarek selbst hatte noch eine zweite Gelegenheit, in der sich seine ganze Verunsicherung zeigte: Glänzend freigespielt von Marcelinho, drang er von halblinks in den Strafraum ein, kam ins Grübeln und tat dies so ausführlich, dass ihm Arminias Verteidiger Lense den Ball noch vom Fuß spitzeln konnte.

„Was soll ich noch sagen“, fragte Fredi Bobic bei der Aufarbeitung rhetorisch, „was für Chancen wollen wir eigentlich noch bekommen?“ Es sei zugunsten des Exnationalstürmers angenommen, dass er sich selbst in die Kritik einbezog.

Kein Wunder, dass Falko Götz danach nicht nur wegen seiner schmerzenden Knieverletzung ein langes Gesicht machte. Der Hertha-Coach war „sauer, stinksauer“ und beklagte, „hier ganz klar einen Sieg verschenkt“ zu haben.

Was angesichts der aufgezählten Gelegenheiten nicht völlig falsch, aber auch nur die halbe Wahrheit war. Denn die selbst gefühlte Überlegenheit der Herthaner stimmte mit der Realität nicht ganz überein. Auch der bislang überraschend starke Aufsteiger aus Bielefeld hatte seine Möglichkeiten und überdies mit dem Südafrikaner Delron Buckley einen Mann, der nicht nur weiß, wo das Tor steht, sondern es auch zu treffen versteht.

Im Übrigen bot die flotte Bundesligapartie den Berlinern wenig Anlass, gleich wieder in Krisengejammer zu verfallen. Wie Gilberto, Bastürk und Marcelinho in seinem 100. Spiel für die Hertha den Ball laufen ließen, das hatte schon Klasse und wurde auch von Manager Dieter Hoeneß goutiert: „Wir sind mit unserem Spiel auf einem guten Weg, haben eine gute Anlage und ein gutes System.“ Etwas weniger Hacke-Spitze, ein konzentrierterer Abschluss, dann könnte in dieser Saison noch einiges möglich sein. Oder wie Dieter Hoeneß meint: „Aufwand und Ausbeute stimmen bei uns einfach nicht.“

Kann ja noch werden, schon morgen vielleicht, wenn man im Olympiastadion auf die am Abgrund taumelnde Dortmunder Borussia trifft. Möglicherweise der richtige Gegner, um die Angreifer wieder ein wenig Selbstvertrauen schöpfen zu lassen.

Zuletzt wurde in der Szene ja wiederholt über einen Wechsel von Giovane Elber zur Hertha spekuliert. Doch der steht in Lyon unter Vertrag, ist mittlerweile 32 Jahre alt, und ob er nach einem komplizierten Beinbruch noch einmal der Alte wird, weiß kein Mensch. Für Panikreaktionen besteht in Berlin zurzeit eigentlich kein Anlass.