It’s My Life

Junge Lesben mit Bärten, geschminkte Schwestern der Perpetuellen Indulgenz, echtes Brusthaar und Elvis-Perücken: Im SO 36 tobte „Wigstöckel“, das jährliche Fest für Transidentische und Crossdresser, Dragkings und Dragqueens

Hätte man sich am Samstagabend im SO 36 darauf versteift, die unzähligen Zwischenstufen der Geschlechterkonstrukte „Mann“ und „Frau“ benennen zu wollen, man hätte nichts zu lachen gehabt: Schließlich tobte „Wigstöckel“ im Kreuzberger Traditionsladen, das jährliche Fest für Transidentische, Crossdresser, Dragkings und -queens.

Ein älterer Herr mit Echthaar-Heidizöpfen und engem Dirndl, aus dem Brustpelz quoll, drängte sich neben junge Butch-Lesben mit Schiebermützen und kunstvoll abgezirkelten Bärten. Ein junger Mann brach seine studentisch-slackerhafte Erscheinung durch ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Cheerleader“. In Ermangelung einer besseren Selbstbeschreibung schlug sich einer der Performer des Bühnenprogramms, Fatma Souad, mit einem schrillen „Macht Platz für das Monster!“ durch die Menge. Es gibt viele Wege, mit Geschlechtercodes und Dragklischees zu spielen.

Dass „Wigstöckel“ auf das 1985 in New York ins Leben gerufene „Wigstock“-Festival zurückgeht, war im SO 36 kaum noch zu merken. Während der Fokus bei Wigstock eher auf einer reinen Zurschaustellung der Damenimitatorentalente seiner Initiatorin Lady Bunny und ihrer Kolleginnen lag, verfolgt Wigstöckel einen politischeren Ansatz: Im „Markt der Möglichkeiten“ konnte man sich mit Informationsbroschüren von Jugendberatungs- und Selbsthilfegruppen eindecken, nebenan gedachte eine vom Orden der „Schwestern der Perpetuellen Indulgenz“ gestaltete „Wall of Fame“ verstorbenen Transikonen wie Quentin Crisp oder Charlotte von Mahlsdorf. Auch dass in anderen Kulturen selbstverständlicher mit „Zwischengeschlechtern“ umgegangen wird – bei den Ureinwohnern Nordamerikas mit den „Berdaches“, in Indien mit den „Hijras“ – wurde erinnert.

Die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz, diese stets weiß geschminkten Aids-Nonnen, waren es dann auch, die das Wigstöckel-Publikum mit ihrer Segnung „Halleluja, A-Men, A-Women, A-Transgender“ in ein rauschendes Fest schickten, das wieder einmal zeigte, wie talentiert Homosexuelle und Transidentische quasi gezwungenermaßen darin sein müssen, Versatzstücke der Mainstreamkultur nach ihren Bedürfnissen umzudeuten. Die „Kingz of Berlin“ vollführten unter zustimmendem Gejohle ein Tänzchen zum Preluders-Hit „I’m not your everyday girl“, die Dragperformer Mimi Monstroe und Toni Transit gaben zur Melodie von „Hair“ zwei Butch-Lesben in Badeanzügen („Lass es leben, Gott hat’s mir gegeben, mein Haaaaar!“). Auch die „Busenfreunde“ ernteten tosenden Beifall, vier maskierte Frauen, die in einem Crossover aus „Puppetry of the Penis“ und Ballettchoreografie ihre entblößten Brüste hüpfen ließen – und zwar zum flotten Surfklassiker „Rama Lama Ding Dong“. Die wenigen Heteropärchen, die sich unter das Publikum gemischt hatten, knutschten derweil – so schien es zumindest – etwas wilder als sonst. Die drei besoffenen Holländer, die sich wohl eher zufällig ins SO 36 verirrt hatten und ihrer Verwirrung zunächst mit lautem Grölen Ausdruck verschafft hatten, zogen sich an den Promotionstand einer Visagistenschule zurück und ließen sich dort kichernd Drag-Make-up auftragen.

Bei dem im Anschluss an den Revue-Teil folgenden DJ-Programm schob sich dann ein dichtes Gedränge aus Perücken und Elvis-Sonnenbrillen über die Tanzfläche. Ob es eher die Dragkings des Abends waren, die sich zu „Schwule Mädchen“ in den Schritt griffen, oder es bei „Independent Women“ eher die Transen waren, die da so mit den Hüften kreisten – man vermochte es nicht auszumachen. Machte aber nichts, denn auf die Selbstbestimmungshymne schlechthin, auf den Song „It’s My Life“, konnten sich schließlich alle einigen.

JAN KEDVES