Vier sind das Volk

Montagsdemos? Richtig, die gibt’s ja noch. Woche für Woche ziehen hunderte BerlinerInnen durch die Stadt, um gegen die Arbeitsmarktreform Hartz IV zu protestieren. Auch heute. Wer sind diese übrig Gebliebenen? Vier DemonstrantInnen antworten

Taina Gärtner, 39 Jahre, arbeitslos: „Ich habe einen 15-jährigen Sohn. Er geht aufs Gymnasium, bringt gute Schulnoten. Aber ich weiß nicht, wie ich ihm den Basketballverein bezahlen soll. Seine Schuhe sind alle halbe Jahre ausgelatscht. Ich bin allein erziehend. Erst seit kurzem zahlt sein Vater regelmäßig Unterhalt. Aber diese Summe fällt mit Hartz IV wieder weg, weil das ja alles gegengerechnet wird. Früher mal habe ich auf dem Bau gearbeitet. Dann habe ich eine Umschulung zur Einzelhandelskauffrau gemacht. Gearbeitet habe ich in dem Beruf aber nicht. Na ja, Karstadt und so. Seit 2001 bin ich arbeitslos. Zu Montagsdemos bin ich schon vor zwei Jahren gegangen. Mit ähnlich wenig Leuten wie heute. Damals wollte noch keiner etwas von Themen à la Hartz IV wissen. Selbst die Kreuzberger sagten: Ach, du siehst alles viel zu schwarz. Hätten doch bloß damals hunderttausende demonstriert. Da war das Gesetz noch nicht durchgewinkt. Frustriert bin ich aber nicht. Ich treffe nach wie vor Leute, die ich über die Proteste kennen gelernt habe. Darüber findet ja auch Austausch statt.“

Daniel Herholz, 17 Jahre, Schüler: „Ich unterstütze die FDJ, die DKP und zum Teil die Sozialistische Arbeiterjugend. Aber ich bin kein festes Mitglied, ich bin nur Sympathisant. Ich unterstütze sie, weil ich gegen das Scheiß-Hartz-System bin. Ich glaube, ab Januar kommt auf uns die größte Katastrophe zu, die es gibt. Dadurch kommt mehr Armut, Hungersnot. Dadurch kommen wir aber noch ein Stück weiter in Richtung der Diktatur der Arbeiter. Ich habe schon vorher gesehen, dass sich die Situation für meine Familie und viele meiner Bekannten in Prenzlauer Berg zunehmend verschlechtert hat. Mein Bruder ist Sozialhilfeempfänger, meine Mutter ist auch seit vielen Jahren schon arbeitslos, und ich habe keine Lehrstelle gefunden. Ich werde jetzt zunächst aufs Oberstudienzentrum gehen, um meinen Realschulabschluss zu machen. Danach sehen meine Chancen aber nicht besser aus. Aktiv bin ich erst, seitdem die Hartz-Proteste begonnen haben. Nächstes Jahr werde ich wohl in die Partei eintreten. Ich bin ein Gegner dieses Systems. Ich will wieder den Sozialismus haben.“

Erika Baum, 79 Jahre, Rentnerin: „Ich kenne eine Lehrerin, die wegen Hartz IV kein Arbeitslosengeld mehr kriegt. Nicht anders wird es dem Opel-Arbeiter in Bochum gehen. Bei mir im Aufzug ist ein junger Mann, der hat sein Abitur mit Auszeichnung gemacht. Der sagt zu mir, ich sei ein privilegierter Mensch. Nun habe ich eine ganz minimale Rente, die ehemalige DDR-Bürger in diesem Land bekommen. Knapp 700 Euro. Der Junge fragt mich, wann er je in seinem Leben in die gleiche Lage kommen wird wie ich. Er wüsste nicht, wann er mal regelmäßig am Ende eines jeden Monats etwas auf seinem Konto überwiesen bekommen wird. Ich konnte ihm diese Frage nicht beantworten. Gegen eine solche Perspektivlosigkeit muss ich doch eintreten. Ich weiß auch nicht, wie wir die Durchsetzung von Hartz IV erschweren können. Ich weiß nur, dass ich nicht bereit bin, meinen Mund zu halten. Auch wenn die Proteste nachlassen, ich bin hier, weil es in meiner Auffassung so etwas wie Beständigkeit gibt. So lange montags auch nur einer da steht – ich werde mit ihm demonstrieren.“

Thomas Rudek, 43 Jahre, arbeitslos: „Ich finde, es ist gar nicht so wichtig, wie viele Leute bei Demos mitmachen. Es gibt ja auch andere Formen, wie sich Protest formuliert. Zum Beispiel die sinkende Wahlbeteiligung. Das saarländische Parlament repräsentiert nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten. Es gibt viele Gruppen, die jetzt hinter den Kulissen arbeiten, an Argumenten feilen und sich für Januar wappnen, wenn das Gesetz tatsächlich in Kraft tritt. Das heißt, die Leute beschäftigen sich konkret mit dem Sozialgesetzbuch II und mit den Durchführungsbestimmungen. Ich selbst bin bei der „Berliner Kampagne gegen Hartz IV“ aktiv, und auch wir haben einen steten Zulauf zu verzeichnen. Ich komme weiterhin her, um den Menschen Orientierung zu geben. Auch wenn wir gerade nicht viele sind – es kommen immer wieder neue Leute, die wissen wollen, wo man sich organisieren kann oder wo es Veranstaltungen gibt. Ich finde, unsere – wenn auch kleinen – Montagsdemos sind eine gute Möglichkeit, mit den Betroffenen in Kontakt zu treten.“ PROTOKOLLE: FELIX LEE