„Es gibt nationale Verantwortung“

Grünen-Politikerin Rebecca Harms fordert einen verantwortungsvollen Umgang mit Atommüll und protestiert deshalb gegen den Castor-Transport nach Gorleben. Leider interessiere die Suche nach einem alternativen Atomendlager nur eine Minderheit

Interview NICK REIMER

taz: Frau Harms, freuen Sie sich auf Freitag?

Rebecca Harms: Meinen Sie Donnerstag? Dann wird der Castor sein Ziel erreichen. Das ist aber kein Grund zur Freude.

Nein. Mit Stade geht am Freitag das erste Atomkraftwerk im Rahmen des Atomkompromisses vom Netz.

Stimmt. Auf diesen Tag habe ich mich immer gefreut.

Sie demonstrieren also bis Donnerstag, um am Freitag zu feiern?

Früher hat die Anti-Atom-Bewegung immer gesagt: Wir blockieren die Entsorgung, damit die AKWs vom Netz gehen. Diese Strategie war ein Irrtum. Man muss einerseits dafür sorgen, dass die AKWs abgeschaltet werden, und andererseits dafür, dass verantwortungsvoll mit dem Müll umgegangen wird. Darum geht es hier in Gorleben.

Ein Wissenschaftlergremium, der so genannte AK End, hat vor fast einem Jahr Empfehlungen zur Suche nach einem Endlagerstandort vorgelegt. Passiert ist seitdem nichts.

Es gibt enormen Widerstand. Die Industrie will das vorgeschlagene Verfahren nicht, weil es natürlich Geld kostet. Die Politik will es nicht, weil es Debatten um neue Standorte bedeuten würde. Und wie solche Debatten laufen und enden, hat man am Konflikt um die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf erlebt.

Nun regiert heute aber ein grüner Umweltminister, dem es leichter fallen müsste, das Verfahren zu kommunizieren.

Jürgen Trittin gehört zu jenen Politikern, die nach wie vor die Empfehlungen des AK End umsetzen wollen. Dazu gehörte eine Verhandlungsgruppe aus Politik und Energiewirtschaft, die dann am Nein der FDP, der Union und der Industrie gescheitert ist. Jetzt liegt ein Konzept vor, wie die AK-End-Empfehlung auch ohne politische Verhandlungsgruppe umsetzbar ist. Was daraus wird, hängt nicht allein von Trittin ab – sondern davon, wie der Vorschlag aufgegriffen wird.

Der wendländische CDU-Bundestagsabgeordnete Kurt Dieter Grill sagt: Wir brauchen keine neuen Vorschläge. Das Endlager Gorleben liege unter einem sicheren Deckengebirge.

An Grill ist letztlich das AK-End-Verfahren gescheitert. Wenn Gorleben so sicher ist, warum soll man es dann nicht noch mal mit anderen Standorten vergleichen? Die Bundesrepublik ist von den Geologen bestens beschrieben. Eine Datenlage herzustellen, um mit Gorleben zu vergleichen, ist ein kleiner Akt. Das Problem ist: Die neue Standortsuche ist das Ziel einer Minderheit. Die Leute hier wollen das Endlager nicht. Die Mehrheit aber – die nicht hier lebt – ist damit ganz zufrieden. Minderheitsanliegen durchzusetzen war schon immer das Schwierigste.

Sie gehören zu dieser Minderheit, haben hier Politik gemacht. Wieso wollen Sie jetzt Europaabgeordnete werden?

Ich mache das so ähnlich wie die deutschen Energiekonzerne: global aufstellen. Ich glaube, dass die Auseinandersetzungen um die Atomwirtschaft nicht national gelöst werden können.

Also Gorleben schließen und ein zentrales europäisches Endlager – etwa im Ural – bauen?

Nein. Es gibt eine nationale Verantwortung. Den Atommüll, den unsere wohlhabende Industriegesellschaft produziert hat, muss sie auch selbst entsorgen. Die Debatte in der Bundesrepublik ist so schwierig, weil man erst den Müll hatte und dann nach einem Standort zu suchen begann.