Aufwind statt Absturz

Manche Schlagzeile der letzten Woche klang, als stünde Angela Merkels Sturz kurz bevor. Nun meldet sich die Partei mit Ergebenheitsadressen

„She’s so high“, tönt esin Oldenburg aus den Lautsprechern der Jungen Union, „she’s so lovely“

AUS BERLIN UND OLDENBURG LUKAS WALLRAFF
UND JAN ZIER

Es war ein schönes Wochenende für Angela Merkel. Zweimal ist die Vorsitzende der CDU auf Parteiveranstaltungen gewesen, und zweimal hat sie viel Beifall bekommen. Sehr viel Beifall. Standing ovations. Und es kam noch toller: Wichtige Parteipromis wie Christian Wulff meldeten sich mit Ergebenheitsadressen an die Chefin zu Wort. Wichtige Nachrichtensender berichteten von Annäherungen im unionsinternen Streit um die Gesundheit. Eine für die Union wichtige Sonntagszeitung schrieb gestern auf Seite eins: „Merkel wieder im Aufwind“. Das ist übertrieben. Aber es ist was dran, und sei es nur, dass sich die konservativen Blattmacher entschlossen haben, Merkel weiterhin zu unterstützen.

Sie kann die Hilfe brauchen. Gerade jetzt, nach einer Woche, in der fast alles schief lief: Unterschriftenaktion gegen die Türkei – abgesagt. Wolfgang Schäuble als neuer Wirtschafts- und Steuermann der Fraktion – abgesagt. Dafür Chaos in mehreren Landesverbänden der CDU und böse Geschichten, Gerüchte noch und nöcher. Über Intrigen, Mobbing, Putschgelüste. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zum Beispiel. Aber auch im Konrad-Adenauer-Haus. Manche Schlagzeilen der letzten Woche klangen, als stünde Merkels Sturz kurz bevor. Als müsste sie inzwischen allein gegen die Mafia kämpfen.

Diese Mafia, so schien es, besteht zum einen aus Edmund Stoiber und seiner CSU, die Merkels Kopfpauschale ganz grundsätzlich ablehnen und zu keinem Kompromiss im Gesundheitsstreit bereit sind. Um keinen Preis. Doch nun, nach der ersten Verhandlungsrunde zwischen CDU und CSU am Freitag, sieht es doch so aus, als ob die Bayern langsam, aber sicher akzeptieren, dass es im gemeinsamen Unionskonzept eine pauschale Gesundheitsprämie geben wird. Die CDU signalisiert dafür Bereitschaft, die Prämie zu halbieren und ganz sicher, auf jeden Fall, irgendwie für den „Sozialausgleich“ zu sorgen. Wie, weiß noch keiner.

Das Fingerhakeln geht mindestens bis zum nächsten Treffen am Sonntag weiter. Spricht man mit Unionsleuten, geben die sich sicher, dass inzwischen beide Seiten, Merkel und Stoiber, eines begriffen haben: Eine Einigung muss her, Blockieren wird nicht belohnt, und: Liebe Leute, es geht nur um ein Konzept, nicht um ein Gesetz. Möglich wäre also ein Kompromiss, bei dem man sich dann doch nicht bis ins letzte Detail festlegt. Was auch immer Stoiber vorhat, Merkel kämpft hier jedenfalls nicht allein. Sie hat, was manchmal vergessen wird, 15 Landesverbände der CDU hinter sich, die sich allesamt für die Kopfpauschale ausgesprochen haben. Stoiber hat nur seine CSU.

Bleibt der andere Teil der Anti-Merkel-Mafia, von dem zuletzt so viel die Rede war: Die Männer in der CDU, also die Ministerpräsidenten Müller, Koch und Wulff, die Merkel ganz grundsätzlich gering schätzen und ihren Kopf am liebsten rollen sehen würden. Weil sie selbst an die Macht wollen. Und weil Merkel Ostdeutsche, Frau und Protestantin ist … Ob das stimmt? Zumindest gibt es viele in der CDU, die versuchen, diesen Eindruck zu widerlegen. Am Ende, wenn der ganze Streit vorbei sein werde, dann, sagt der mutmaßliche Putschist Wulff, werde die Union über Merkel sagen: „Sie hat es richtig gemacht, ist vorangegangen, und wir sind ihr gefolgt.“

Plötzlich sieht es aus,als akzeptiere die CSUdas Modell derKopfpauschale

In Berlin, bei der CDU-Regionalkonferenz am Freitagabend, geht ein älterer Westberliner Herr ans Mikrofon und sagt, er wolle mal Hans Rosenthal zitieren, den „Dalli Dalli“-Moderator. Er ruft: „Frau Merkel, Sie sind spitze!“ Der Abend ist ein Heimspiel.

In Oldenburg, bei der Jungen Union, am nächsten Tag: „She’s so high“ tönt aus den Lautsprechern, „she’s so lovely.“ Ovationen für Merkel auch hier. „Wir unterstützen Angela Merkel“ sagt der mit 85,9 Prozent wiedergewählte JU-Vorsitzende Philipp Mißfelder und dann, an Merkel direkt gewandt: „Lassen Sie sich nicht verrückt machen von denen, die hoffen, mit Sozialromantik Wahlen zu gewinnen.“ Im Streit mit Stoiber kann Merkel auf die Unterstützung der JU bauen. Aber das war’s dann auch. Der wahre Liebling der Parteijugend ist ihr Erzfeind. Obwohl er gar nicht anwesend ist, bekommt Friedrich Merz mehr Beifall als die Parteivorsitzende selbst. Wann immer sein Name erwähnt wird, brandet Jubel auf. Bitter für Merkel. Sie muss ihre Rede lange unterbrechen, tapfer lächelnd. Dazu passt, dass sich hier niemand für eine Kanzlerkandidatin Angela Merkel stark machen will. Zwar fordert Mißfelder, die K-Frage früher als geplant zu beantworten. Auf eine Person mag er sich aber nicht festlegen.

Er wird das tun, was die meisten in der Union tun: stillhalten und die nächsten Umfragen abwarten.