ausgehen und rumstehen
: Unterwegs mit den Autos

So hübsche Jungs, besonders der eine. So unschuldig und talentiert. Da muss doch was gehen mit Reichtum und Ruhm

Es ist Sonntagabend. Ich habe schreckliche, hämmernde Kopfschmerzen. Für mich ist das besonders schlimm, weil neu und somit ungewohnt.

Was ich bisher auch trank und wie viel und egal, wie schlecht es dem Rest meines Körpers gehen mochte, mein Kopf war stets von guten Mächten treu umgeben, und Kopfschmerzen waren mir unbekannt. Gebrochen wurde dieser mich beschützende Zauber vermutlich durch einen nach Gurke schmeckenden Longdrink, den mir eine falsche Freundin gestern Nacht verabreichte.

Das Schreikind von oben macht das Schädelbrummen auch nicht besser. Früher hörte man Fickgeräusche durch die Decke, dann monatelang nichts. Und jetzt das Baby. Aber das muss man wohl akzeptieren: das Stöhnen, die Stille, das Schreien – ein Rondo der menschlichen Natur.

Gestern waren die Autos in Berlin. Ich weiß nicht, ob ich es gut finden soll, dass das jetzt Schule macht mit den Übersetzungen englischer Bandnamen, aber den Autos und den Türen sei es genehmigt. Nur jetzt bitte nicht „Die Keefer“!

Kennen gelernt habe ich die Band auf meiner ausgedehnten Tour als Sänger durchs Schwabenland. In Geislingen waren sie mein Vorprogramm, und obwohl es starke Konkurrenz durch eine Hochzeit gab, zogen wir zusammen fast 50 Besucher. Als ich die 4 Schüler aus Ulm ihren Gassenhauer „Runter zum Fluss“ spielen hörte, stieg mir ein Geruch in die Nase, den ich nicht sofort erkannte. Irgendwie metallisch. Erst als ich ein Bauernmädchen an der Bar ihre Milch bezahlen sah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Geld! Ich roch Geld!

So hübsche Jungen, besonders der eine. So unschuldig und talentiert!

Da muss doch etwas gehen mit Reichtum und Ehre – das waren damals so meine Gedanken. Aber bis dahin ist es noch ein langer, steiniger und manchmal auch undurchschaubarer Weg für die Autos. Gestern führte er sie in eine Kneipe namens Arcanoa. Hauptattraktion war dort eine Theke, über die ein künstlich angelegtes Rinnsal floss. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob es sich hierbei um einen misslungenen Versuch luxuriöser Verspieltheit handelte oder um eine eher praktische Vorrichtung, die es dem besonders guten Kunden im Notfall erlaubt, sich an Ort und Stelle zu übergeben.

Sound machte der für Läden bis zu einer gewissen Größe und Wichtigkeit obligatorische Arschlochmischer. „Wir würden gerne auch eine leise Ahnung vom Gesang bekommen“, wollte ich ihm zubrüllen, aber bevor ich dazu kam, kippte ich eine Flasche Bier um, deren Inhalt nur knapp das Mischpult verfehlte, und schwächte so meine Position.

Damit der Abend für die sinnlos weit gereisten Autos nicht völlig vergebens war, gaben meine Freundin und ich ihnen allerlei wertvolle Tipps bezüglich Kunst und Leben. „Zieht nicht nach Konstanz!“ zum Beispiel. Je länger wir mahnten und rieten, desto dankbarer wurden die Autos und sprangen am Schluss vor lauter Überschwang an uns hoch. Jetzt waren sie hungrig und wollten auch noch „die Stadt“ gezeigt bekommen.

Ich machte keine Experimente und führte sie ins White Trash. Ich beschrieb es ihnen als einen Laden, in dem sich die Gäste, wenn man allein aufs Klo geht, zutuscheln: „He, schau mal, ich glaube, der will kacken.“ Als sie nicht verstanden, sagte ich: „Tanzen können wir dort nicht, aber uns unterhalten wie am Spieß, während sich die Schere zwischen realem und gefühltem IQ öffnet und öffnet.“

So machten wir es, unterstützt vom berühmten Drummer und DJ Oli Paroli, der Platten aus der guten Zeit auflegte. Zu jedem Lied gab es eine Geschichte: „Hierzu habe ich mich das erste Mal entliebt“ oder: „Bei diesem Song habe ich mir meinen ersten Schuss Berliner Weiße gesetzt. Ach, es war wild, doch ich bereue nichts.“ Auch ich bereue nichts außer dem Gurkendrink.

JENS FRIEBE