der homosexuelle mann … von ELMAR KRAUSHAAR
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… der aktive, mitten im urbanen Leben stehende homosexuelle Mann bleibt ungern allein mit sich und seiner Veranlagung. Ständig strebt er nach passender Begleitung und legt optisch wie mental allen Wert darauf, nicht aus der Rolle zu fallen. Aussehen will er wie seinesgleichen, so reden, denken und ficken wie sie, und abends trifft er sich mit den Kumpels auf ein Beck’s Gold, das leckere Mädchenbier.

In den Siebzigerjahren hießen die Trendgetränke anders, und äußerlich war die softe Hippie-Variation angesagt, lockiges Langhaar, ein blumiges Tuch um den Hals und bunte Perlenkettchen am Handgelenk. Die Achtziger schrien nach radikalem Wandel: Kurzhaar, Schnauzbart, Jeans, Holzfällerhemd, Boots. Im nächsten Jahrzehnt wurde der Kopf glatt geschoren, dazu gepierct und tatoot, was die Haut hergab, und Liebe gab es nur im Darkroom.

Um zu wissen, wie der homosexuelle Mann von heute ausschaut, muss niemand mehr das Haus verlassen. Der sichere Guide durchs zeitgemäße schwule Image findet sich im Internet. www.gaydar.de oder www.gayromeo.com heißen beispielsweise die Seiten, auf denen sich homosexuelle Männer stapelweise anbieten, aus aller Welt, vom gleichen Kontinent oder aus der nächsten Querstraße im gleichen Viertel. Der Blick auf die Seiten offenbart auch für dieses Jahrzehnt: standardisierte Körper allüberall. Hast du einen gesehen, hast du alle gesehen, egal, ob der Suchende aus Aruba kommt, aus den Weiten Finnlands oder aus Lehrte bei Hannover. Der homosexuelle Mann von heute trägt sein Haar moderat kurz, blondiert oder mit Strähnchen und gegeelt, gegeelt, gegeelt, himmelwärts oder abgespreizt nach allen Seiten. Die Kleidung muss sportlich sein, eng anliegende Turnerhemdchen, gern auch mit exotischem Vereinsemblem, und Sneakers an den Füßen. Der Körper selbst ist haarlos, überall, einzig genehmigter Schmuck sind Tatoos, als großflächige Ornamente oder wahlweise Kühlschränke oder Kirschblüten in neckischer Kleinzeichnung.

Die übrigen Essentials für eine erfolgreiche Partnersuche sind schnell abgefragt: Position, Ficken, Schwanz, S+M, FF, Dirty, Fetisch, Safer Sex. Bei „Position“ und „Ficken“ sind die meisten Bewerber ganz entschieden unentschieden: „Mag beides gleich“ ist die häufigste Antwort in beiden Kategorien. Beim „Schwanz“ heißt die Norm „uncut“ und „L“ oder „M“, „small“ gestehen die wenigsten und mit „XXL“ prahlen nur die Profis. Bei „Safer Sex“ kann man wählen zwischen „immer“ und „nach Absprache“, und bei „Fetisch“ treten noch einmal all die Figuren auf, die derzeit Zutritt haben zur Homo-Bühne: Leder oder Rubber, Skins oder Punks, Uniform oder Skater, Lycra oder Jeans. Der „Anzug“ ist auch im Angebot, entpuppt sich aber als Ladenhüter, die Favoriten sind „Skater“, „Sportsgear“ und „Sneakers & Socks“.

Der homosexuelle Mann will unbedingt dazu gehören zur eigenen Klasse, jeder Verstoß riskiert den Ausschluss. Die bunte Vielfalt trägt er nur mit seiner Staatsflagge, der Regenbogenfahne, an Feiertagen vor sich her. Oder lässt sie auf dem Balkon flattern, damit haarlose Skater mit unbeschnittenem L-Schwanz und Faible für gemäßigte SM-Spiele sich nicht verlaufen.