BEI DEN WAHLEN IN TUNESIEN ZEMENTIERT PRÄSIDENT BEN ALI SEINE MACHT
: Maghrebinische Menetekel

Bei Wahlen in Tunesien gibt es keine Überraschungen. Wenn Staatschef Zine El Abidine Ben Ali zu den Urnen ruft, erhält er stets über 90 Prozent. Und das, selbst wenn er Gegenkandidaten zulässt wie bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag.

Die Einzigen, die ihm in seiner 17jährigen Amtszeit hätten gefährlich werden können, sind die Islamisten. Doch deren Partei Ennahda ist verboten, rund 700 ihrer Anhänger sitzen in Haft und ihr Chef Rachid Ghanouchi lebt im Exil in London. Sie sind zwar lediglich gemäßigte Islamisten, die eine religiös orientierte Politik nach dem Vorbild der Christdemokraten in Europa anstreben. Doch genutzt hat ihnen dieser sanfte Kurs nichts.

Denn der Westen setzt fest auf Ben Ali. Daran ändern auch die erschreckenden Berichte internationaler Menschenrechtsorganisationen nichts. Der ehemalige Sicherheitschef Tunesiens gilt den Regierenden von Paris über Rom bis nach Berlin und Washington als Garant der Stabilität. Mit seiner liberalen Wirtschaftspolitik hat er aus Tunesien ein Land gemacht, das für die europäische Industrie als verlängerte Werkbank interessant ist und die Tourismusbranche anzieht. Die Bevölkerung lebt besser als in den restlichen Maghrebstaaten.

Dennoch klagen Regimekritiker über den Filz aus Sicherheitsapparat und Staatspartei RCD: Die Korruption behindere mittlerweile eine weitere Entwicklung des Landes. Die Mittelklasse ist von der Beteiligung am politischen Leben ausgeschlossen, und die Repression und die Kontrolle der Medien blockieren jeden Übergang zur Demokratie.

Der allein aber kann dafür garantieren, dass sich die Unzufriedenheit nicht irgendwann radikale Wege bahnt. So wie einst in Algerien: Auch dort kontrollierte ein übermächtiger Präsident mit seiner Staatspartei jahrzehntelang das gesamte gesellschaftliche Leben. Bis Algerien explodierte und in eine tiefe, blutige Krise stürzte.

Den Bürgerkrieg im Nachbarland nutzte Ben Ali geschickt, um seine Repression gegen jedwede Opposition zu rechtfertigen. Er und die, die ihn unterstützen, sollten aber andere Lehren aus diesem Menetekel ziehen. REINER WANDLER