Männliches Paradetrauma

Der finnisch-schwedische Autor Asko Sahlberg liest heute im Literaturhaus aus seinem Debütroman

von Carola Ebeling

Die Stadt „versank in ihrer eigenen Erniedrigung. In der Erniedrigung von Menschen, die ihren freien Willen aufgegeben hatten und nach Uhrzeiten lebten. Ich dachte daran, wie oft ich Mitleid, ja geradezu Trauer mit allen Menschen dieser Stadt [...] empfunden hatte, und schon war ich in Rage. Was zum Teufel ging mich das an? [...] und wenn die Menschen den Kopf in den eigenen Anus stecken wollten, was ging mich das an?“ In seinem Debütroman Die Stimme der Dunkelheit, aus dem er heute im Rahmen der Nordischen Literaturtage lesen wird, schickt der finnische Autor Asko Sahlberg seinen Helden auf eine selbst gewählte Flucht: vor dem alles bestimmenden Zugriff der Zeit, vor den Menschen und vor sich selbst.

Der namenlos bleibende Ich-Erzähler ist seines bisherigen Lebens überdrüssig: Er verlässt seine Frau, verkauft die kleine geerbte Zeitung und zieht von Finnland in eine schwedische Großstadt, eine „gut organisierte Müllkippe“, mit viel „Menschenabfall, Menschenmüll“. In seinem kleinen Appartement erprobt er den Rückzug von der Welt. Des Nachts streift er ziellos durch die Straßen, beobachtend zwar, aber jeglicher Begegnung ausweichend.

Ihm genügt, was er in den Gesichtern der anderen zu lesen meint: ihre ungestillten Sehnsüchte, ihre Zerrissenheit, die illusionären Versuche, dem eigenen Leben Bedeutung zu verleihen. Ihn erfüllt das mit Ekel, manchmal noch mit Mitleid. Aber dazugehören will er nicht mehr. Doch die misanthropische Panzerung wird bald rissig. Seine Nachbarin Karen und die junge, haltlose Finnin Anna dringen durch. Immer wieder kommen ihm menschliche Regungen in die Quere.

Der 1964 geborene Autor ist ein Meister darin, Atmosphäre zu schaffen. Wunderbar, wie er in ein, zwei Sätzen das Lastende und Zähe eines Tages oder die Bedrückung und Unruhe seines Erzählers beschreibt. Dessen Blick ist unbarmherzig, oft treffende und manchmal schneidende Gegenwartsanalyse. Die sprachliche Dichte und die Dynamik, welche die Figur in ihrem Ringen mit sich selbst erhält, nehmen den Leser mit durch die dunkle Stadt und die düsteren Gedankengänge.

Doch lässt der Überdruss des Mittdreißigers zuweilen überdrüssig werden: Sein Weltekel gerinnt dann zu einer enervierenden Nabelschau, der es an Originalität mangelt. Dass hinter dem Versuch, sich gänzlich zu verschließen und die Gefühle der totalen Kontrolle zu unterwerfen, eine große Kränkung steht; dass es darum geht, niemandem die eigene Verzweiflung und Hilflosigkeit zu offenbaren, am besten nicht einmal sich selbst: Das alles ist zwar nicht überraschend, aber als Thema mannigfaltig zu gestalten. Doch muss die dann doch aufsteigende kindliche Erinnerung unbedingt die Entdeckung einer Leiche mit dem Anblick der Eltern beim die Mutter erniedrigenden Sex verbinden?

Es entwickelt sich ein küchenpsychologisches, männliches Paradetrauma, in dem sich Eros und Tod mit einem verzerrten Frauenbild zusammenfügen. Nur konsequent, dass die Dunkelheit dann auch als Bild für „die Frau“ herhält, für ihr Unheimliches, ihr Beängstigendes. Man wundert sich, dass immer noch jemand nach dieser abgegriffenen Metapher langen mag. Nicht zufällig sind es zwei Frauen, die den Erzähler nochmals heftigen Gefühlsregungen aussetzen: der nicht erwartete Schmerz, als Karen das Land verlässt und die Empfindung von Schuld nach dem Selbstmord Annas.

Danach steht sein Entschluss umso fester: „Ich muß, ich muß die Fähigkeit aufbringen zu versteinern, alles Überflüssige abzuschneiden, als amputierte ich meine Gliedmaßen, [...] Ich will hassen, bis ich sterbe.“ Etwas an diesem Heldentypus ist zu bekannt, als dass diese Haltung wirklich radikal oder schockierend wirkte.

heute, 18.30 Uhr, Literaturhaus